Das Karpatenschloß
wahnsinnig, da sie mich
nicht wiedererkannt und mir nicht geantwortet hat! Seit 5
langen Jahren hier eingeschlossen – in der Gewalt dieses
Mannes. Meine arme Stilla, sie hat den Verstand verloren.«
Da sprang er wieder auf; ihm flirrte es vor den Augen
und er warf sich hin und her.
»Auch ich – ich fühl’ es, daß ich den Verstand verliere!«
wiederholte er. »Ich fühl’ es, daß ich wahnsinnig werde –
wahnsinnig wie sie.«
Wie ein Raubtier in seinem Käfig irrte er in der Höhle
hin und her.
»Nein!« rief er dann, »nein! Ich darf nicht den Kopf ver-
lieren. Ich muß fort aus dieser Burg. Ich werde hinauskom-
men!«
Jetzt stürmte er auf die erste Tür zu.
Sie hatte sich geräuschlos geschlossen.
Franz hatte es nicht bemerkt, als er der Stimme seiner
Stilla lauschte.
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Nachdem er erst nur innerhalb der Burgmauern ge-
fangen war, sah er sich jetzt als Gefangener in der engen
Höhle.
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Franz war wie vom Donner gerührt. Wie er schon befürch-
tet hatte, fing er an, die Fähigkeit zu denken, die Erkenntnis
der Dinge um sich, die nötige Intelligenz, daraus geeignete
Schlüsse zu ziehen, nach und nach zu verlieren. Die ein-
zige Empfindung, die ihn noch erfüllte, war die Erinnerung
an La Stilla, der Eindruck, den dieser Gesang auf ihn ge-
macht, jene ihm so bekannten Töne, die jetzt kein Echo in
der Höhle mehr wiedergab.
War er der Spielball einer Illusion gewesen? Nein, zehn-
tausendmal nein! Das war La Stilla, die er eben gehört, La
Stilla, die er auf der Bastion des Schlosses gesehen hatte.
Dann bemächtigte sich seiner wieder der Gedanke, daß
sie des Verstands beraubt sei, und dieser schreckliche Ge-
danke traf ihn, als hätte er sie eben zum zweitenmal verlo-
ren.»Wahnsinnig!« rief er immer und immer wieder. »Ja!
wahnsinnig, da sie meine Stimme nicht erkannt hat, da sie
nicht antworten konnte – wahnsinnig – wahnsinnig!«
Das erschien ja in der Tat sehr wahrscheinlich.
Ach, wenn er sie dieser Burg entführen, sie mit zu dem
Schloß von Krajowa nehmen und sich da ihr völlig widmen
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könnte, vielleicht würde seine zärtliche Liebe ihr den Ver-
stand zurückgeben!
So sprach Franz, eine Beute des schrecklichsten Deliri-
ums, für sich, und mehrere Stunden verflossen, ehe er die
Herrschaft über sich einigermaßen wiedergewann.
Jetzt bemühte er sich, alles kalt zu überlegen und sich in
dem Chaos seiner Gedanken zurechtzufinden.
»Ich muß von hier fliehen«, sagte er. »Doch wie? Sobald
man diese Tür wieder öffnen wird! Ja, ja, während meines
Schlafs kommt ja einer und bringt mir Speise und Trank.
Ich werde den Mann erwarten, werde mich schlafend stel-
len.«
Da erwachte ein Verdacht in ihm, nämlich der, daß das
Wasser irgendeinen betäubenden Zusatz enthalten könne.
Wenn er in einen solchen Totenschlaf verfallen, einer sol-
chen vollständigen Lähmung unterlegen war, so lag das da-
ran, daß er von diesem Wasser getrunken hatte. Nun gut, er
würde nicht mehr davon trinken, auch die Speisen wollte er
nicht anrühren, die auf dem Tisch standen. Einer von den
Leuten der Burg mußte ja wohl bald eintreten, und dann ...
Bald? Ja, was wußte er denn? Stieg die Sonne jetzt am
Himmel empor oder verschwand sie hinter dem Horizont?
War es Tag oder Nacht? Franz bemühte sich, das Geräusch
von Schritten zu vernehmen, die sich etwa der Tür näher-
ten. Doch kein Laut drang bis zu ihm; er drückte sich mit
glühendem Kopf, starren Blicken und summenden Ohren
schwer atmend an der Wand des engen Raums hin, dessen
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schwere Atmosphäre, die sich durch die Türspalten kaum
erneuerte, ihn zu ersticken drohte.
Plötzlich traf ihn an einem Pfeiler der rechten Wandseite
ein frischer Lufthauch.
Hier befand sich also eine Öffnung, durch die etwas Luft
von außen eindringen konnte?
Ja, hier war die Mauer durchbrochen, doch in einer
Weise, daß man es im Schatten des Pfeilers nicht wahrneh-
men konnte.
Sich da hinein zu zwängen, einer ungewissen Helligkeit,
die von oben einzufallen schien, entgegenzukriechen, war
für den jungen Grafen das Werk eines Augenblicks.
Jenseits der schachtartigen Öffnung traf er auf einen
kleinen, 5 bis 6 Fuß breiten Hof, dessen Mauern wohl 100
Fuß hoch emporstiegen. Das ganze sah aus wie der Boden
eines Schachts, der für jene unterirdische Zelle etwa als Ge-
fangenenhof diente, und in den etwas Luft und Licht hin-
unterfiel.
Franz sah nun, daß es noch Tag
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