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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Schwierigkeiten
    geboten haben. In tiefdunkler Nacht – der Mond war noch
    nicht aufgegangen – in einer Nacht, die durch die sich um
    die Höhen ansammelnden Nebelwolken nur noch finsterer
    wurde, war es mehr als tollkühn. Der Gefahr, einen falschen
    Tritt zu tun und dadurch in den tiefen Graben hinabzu-
    stürzen, reihte sich noch die weitere an, gegen unsicher ge-
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    stützte Felsblöcke zu stoßen und diese vielleicht zum Um-
    stürzen zu bringen.
    Franz drang immer weiter vor und hielt sich so nah wie
    möglich an die Zickzacklinie der äußeren Böschung, tastete
    dabei mit Hand und Fuß, um sicher zu sein, daß er nicht da-
    von abirre. Von übermenschlicher Kraft getragen, fühlte er
    sich auch wie durch einen merkwürdigen Instinkt geleitet,
    der ihn nicht irreführen konnte.
    Jenseits der Bastion dehnte sich die südliche Zwischen-
    mauer aus, mit der die Brücke, wenn sie nicht aufgezogen
    war, die Verbindung herstellte.
    Von dieser Bastion aus schienen sich die Hindernisse je-
    doch zu vervielfältigen. Zwischen den gewaltigen Felsstü-
    cken, die das Plateau bedeckten, der Außenböschung weiter
    zu folgen, war nicht mehr ausführbar, und er mußte jetzt
    weiter davon zurückweichen. Der freundliche Leser denke
    sich etwa einen Mann inmitten des Steinfelds von Carnac,
    dessen Dolmen und Menhire ohne Ordnung umherge-
    streut wären. Und dazu kein Merkzeichen, um sich danach
    zu richten, kein Lichtschein in der finsteren Nacht, die den
    Giebel des Wartturms völlig verschwinden ließ.
    Franz drang trotzdem weiter vor, indem er hier einen
    Felsblock erkletterte, der ihm den Weg völlig versperrte,
    dort mit zerrissenen Händen zwischen den Steinen hin-
    kroch, während ihm mehrere Seeadler um den Kopf flatter-
    ten, die mit scharfem Kreischen aus ihren Schlupfwinkeln
    flohen.
    Ach, warum ertönte die Glocke der alten Kapelle jetzt
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    nicht, wie sie Nic Deck und dem Doktor entgegengeklun-
    gen hatte? Warum flammte über den Zinnen des Wartturms
    nicht das blendende Licht auf, das jene beiden beleuchtet
    hatte? Er wäre jetzt dem Klang, wäre dem Lichtstrahl nach
    vorgedrungen, wie der Seemann sich von dem Klang des
    Nebelhorns oder dem Blitzen des Leuchtturms leiten läßt.
    Vergeblicher Wunsch! Ringsum nichts als die finstere
    Nacht, die sein Auge kaum einige Schritte weit zu durch-
    dringen vermochte.
    Das dauerte etwa eine Stunde. An der merkbaren Nei-
    gung des Erdbodens nach links zu sah Franz, daß er sich
    verirrt hatte, vielleicht war er schon tiefer als das Ausfalls-
    tor hinuntergeraten, vielleicht über die Zugbrücke hinaus-
    gegangen.
    Er machte halt, stampfte mit dem Fuß und rang die
    Hände, unsicher, nach welcher Seite er sich wenden sollte.
    Und dabei packte ihn eine wahnsinnige Wut bei dem Ge-
    danken, nun doch wohl bis Tagesanbruch warten zu müs-
    sen. Dann wurde er jedoch von den Insassen der Burg be-
    merkt, konnte er sie nicht überraschen. Rudolph von Gortz
    würde schon auf der Hut sein.
    In der Nacht, noch in der heutigen Nacht mußte er durch
    die Umfassungsmauer eindringen, und jetzt hatte Franz in
    der Dunkelheit überhaupt jede Richtung verloren!
    Da entfuhr ihm ein Schrei – ein Aufschrei der Verzweif-
    lung.
    »Stilla«, rief er, »meine – meine Stilla!«
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    Ihm däuchte, als müsse die Gefangene ihn hören, als
    müsse sie ihm antworten können.
    Wohl 20 Mal wiederholte er den geliebten Namen, den
    die Echos des Plesa zurückgaben.
    Plötzlich leuchtete Franz etwas in die Augen. Ein Licht-
    schein strich durch das Dunkel, hell, glänzend. Ein Strahl,
    dessen Quelle in einiger Höhe liegen mußte.
    »Das ist die Burg – da!« rief er sich zu.
    Nach der Richtung, in der jener Strahl in die Nacht hi-
    nausschoß, konnte er in der Tat nur von dem Wartturm in
    der Mitte ausgegangen sein.
    Bei seinem hocherregten Zustand zweifelte Franz keinen
    Augenblick, daß es La Stilla war, die ihm diese Hilfe sandte.
    Jedenfalls hatte auch sie ihn erkannt, als er die Geliebte auf
    der Eckbastion sah.
    Und jetzt war sie es, die ihm dieses Zeichen gab, sie, die
    ihm den Weg wies, auf dem er zum Tor gelangen konnte.
    Franz folgte jenem Licht, das an Helligkeit noch zunahm,
    je mehr er sich ihm näherte. Da er auf dem Plateau des Or-
    gall zu weit nach links gegangen war, mußte er jetzt etwa
    20 Schritte nach rechts machen und entdeckte dann nach
    einigem Umhertasten wieder den Rand der äußeren Gra-
    benböschung.
    Der Lichtglanz fiel ihm direkt ins

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