Das Karrieremacherbuch
(die am eigenen Trauma knapsen, weil sie die Ersten waren, die den Jobverlust so deutlich erlebten) und nicht zuletzt auch die Bologna-Experten entfacht. Der verschärfte Wettbewerb um Arbeitsplätze in der globalisierten Welt schürt zusätzlich die Angst davor, zu den Verlierern zu gehören. Karriere wird als Rettungsanker für das berufliche Leben auf dem globalisierten Arbeitsmarkt dargestellt und angesehen. Bei all dem, was man so liest und hört, kann man schon nervös und hektisch werden.
Das gegenwärtige Verständnis von beruflichem Aufstieg ist mit den künftigen Entwicklungen nicht kompatibel. Silke Wickel-Kirsch, Professorin für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Wiesbaden, stellte einmal Erstsemestern im Hörsaal die Frage: »Wer möchte Manager werden?« Es meldeten sich 80 Prozent der Anwesenden. Vor einiger Zeit hielt ich eine Seminarreihe in München. Pro Kurs waren 16 Teilnehmer anwesend, alles karrierehungrige Absolventen oder Studenten in den letzten Semestern. Zu Beginn fragte ich wie Wickel-Kirsch, wer denn Führungskraft werden wolle. Es meldeten sich immer mindestens 14. Dann fragte ich, wo sie denn gerne arbeiten würden. Ich hörte zu 99,9 Prozent Konzernnamen und die Namen bekannter Unternehmensberatungen. In meinem Forum bei XING schrieb ein junger Unternehmensberater, ob ich ihm dabei helfen könnte, »möglichst schnell Karriere zu machen«. Dann skizzierte er seinen Aufstiegsplan in einer langen E-Mail mit vielen Ausrufezeichen: erst zwei Jahre bei der Unternehmensberatung aushalten, für die er gerade tätig war, dann in einen Konzern wechseln und raketenschnell die Karriereleiter rauf, alle zwei Jahre einen Schritt weiter, bis zum TopManagement. Mit 40 dann eine Family gründen und so. Und dann bis zur Rente auf einem Konzernarbeitsplatz ausharren. Ein bisschen in Slow Work machen. Slow Work gibt es in Konzernen. Sie sind das Äquivalent eines relativ ruhigen, vorgezeichneten und mit regelmäßigem Aufstieg aufgepeppten Karrierelebens.
Unternehmensberatungen sind Durchlauferhitzer
Das eigene Erleben stimmt mit Studienergebnissen überein. Tatsächlich streben 29 Prozent nach dem Studium erst einmal in eine Unternehmensberatung, für 89 Prozent ist der Faktor Aufstieg im Berufsleben zentral. 27
Ein bisschen Theorie
Einsteigen und Schritt für Schritt im angestammten Bereich aufsteigen – das ist der Traum der meisten Berufsanfänger. Das Bild von der Karriere in der heutigen Form entstand in den 1950er-Jahren. Das Unternehmen war der Versorger, eine zweite Familie, für viele sogar Familienersatz. Für seinen Einsatz wurde der treue Mitarbeiter belohnt: Er begann unten und stieg auf, ohne nach rechts und links, also in andere Bereiche und Unternehmen, schauen zu können. Wer in einer Abteilung Fuß gefasst hatte, arbeitete sich dort peu à peu hoch. Kaminkarriere nennen das Experten. Das ist ganz schön stickig – aber immer noch das Wunschmodell der meisten Absolventen.
Kaminkarriere
Lassen Sie uns doch noch mal etwas näher die Theorie von Berufsorientierungen betrachten. 1989 stufte der Wirtschaftspsychologe Lutz von Rosenstiel mit einem Test 27,9 Prozent aller Studenten und Abiturienten als »aufstiegsorientiert« ein, wobei Aufstieg in seinen Fragen eine Konzernkarriere implizierte, also eine Kaminkarriere. Weitere 32,3 weitere Prozent waren freizeitorientiert und weitere 38,2 Prozent »alternativ orientiert«. 28 Diese Gruppe lehnte die Konzernkarriere und ab und suchte nach inhaltlichem Sinn in der Arbeit oder auch in einer Selbstständigkeit. In einer Projektarbeit für die Veranstaltung Karrieremanagement der Universität Göttingen ermittelten 2002 drei Studenten in einer selbst durchgeführten Umfrage, dass sich dieser Fokus zugunsten der Aufstiegsorientierung verschoben hatte, 42 Prozent gehörten zu dieser Gruppe. 29
Unmittelbar nach ihren Präferenzen befragt, würden wahrscheinlich noch mehr den Wunsch nach der sicheren Konzernkarriere äußern, und in ihrem Verständnis wäre damit eine gere gelte Führungslaufbahn verbunden. Nicht nur die Career Worker obigen Typs, auch die Freizeitorientierten, die es nach wie vor gibt, und ein Großteil der alternativ Orientierten. Alle drei Gruppen haben das Bild von der Konzern- oder alternativ Consultingkarriere entweder als Ort der Selbstverwirk lichung oder als rettender Anker vor dem Prekariat. Dass eine Konzernkarriere ihrer Persönlichkeit gar nicht entspricht, wird gerade der dritten Gruppe erst bewusst, wenn
Weitere Kostenlose Bücher