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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Joker.
    »Amazing«, murmelte sie. »A very special spread.«
    Viel mehr passierte zunächst nicht, und ich fragte mich, ob die einundzwanzig Karten vielleicht so speziell lagen, daß sie davon hypnotisiert wurde, doch dann redete sie endlich. Sie zeigte zuerst auf den Pik Buben in der mittleren Reihe und schaute sich die umliegenden Karten an.
    »I see a growing boy«, sagte sie. »He is far away from home.«
    Davon war ich nicht besonders beeindruckt; man brauchte keine Wahrsagerin zu sein, um zu begreifen, daß ich nicht aus Como war.
    »Are you not happy, my dear?« fragte sie.
    Ich gab keine Antwort, und sie schaute wieder die Karten an.
    Jetzt zeigte sie auf die Reihe, die von der Vergangenheit handelte. Hier lag der Pik König zwischen vielen anderen Pik.
    »Many sorrows and obstacles in the past«, sagte sie.
    Sie hob den Pik König auf und sagte, das sei mein Vater. Er habe eine bittere Jugend gehabt, fuhr sie fort. Dann sagte sie sehr viel, wovon ich bloß die Hälfte verstand, und mehrmals fiel das Wort »grandfather«.
    »But where is your mother, dear son?«
    Ich sagte, die sei in Athen, aber das bereute ich sofort, denn dadurch hatte ich ihr geholfen. Es war schließlich möglich, daß sie bloß bluffte.
    »She has been away for a very long time«, fuhr die Wahrsagerin fort. Sie zeigte auf die untere Kartenreihe. Hier lag das Herz As ganz rechts, weit weg vom Pik Buben.
    »I think this is your mother«, sagte sie. »She is a very attractive woman... wearing beautiful clothes... in a foreign country far away from the land in the North.«
    So weissagte sie weiter, und ich bekam immer nur die Hälfte mit. Als sie schließlich über die Zukunft sprach, glänzten ihre Augen wie Kastanien.
    »I have never seen a spread like this«, sagte sie noch einmal.
    Sie zeigte auf den Joker, der neben dem Pik Buben lag, und sagte: »Many great surprises. Many hidden things, my boy.«
    Dann stand sie auf und warf nervös den Kopf in den Nacken. Als letztes sagte sie: »And it is so close.«
    Damit war die Sitzung beendet. Die Wahrsagerin begleitete mich aus dem Zelt, hielt zielbewußt auf Vater zu und flüsterte ihm ein paar Wahrheiten ins Ohr. Ich stapfte ein Stück hinter ihr her, und plötzlich legte sie mir die Hand auf den Kopf und sagte: »This is a very special boy, Sir... Many secrets. God knows what he will bring.«
    Ich glaube, Vater hätte fast losgelacht. Vielleicht gab er ihr nur deshalb noch einen Geldschein, damit er es nicht tat.
    Als wir schon ein gutes Stück vom Zelt entfernt waren, spähte die Wahrsagerin immer noch hinter uns her.
    »Sie hat mir die Karten gelegt«, sagte ich.
    »Ach? Du hast doch sicher um den Joker gebeten?«
    »Du spinnst«, sagte ich sauer. Seine Frage kam mir vor wie die reine Gotteslästerung.
    Aber Vater lachte nur häßlich. Ich konnte seinem Lachen anhören, daß die beiden Fläschchen leer waren. Als wir wieder auf unserem Hotelzimmer waren, überredete ich ihn, mir Räuberpistolen von den sieben Meeren zu erzählen.
    Mein Vater war viele Jahre lang auf einem Tanker zwischen Europa und Westindien gefahren. Auf diese Weise hatte er den Golf von Mexiko und Städte wie Rotterdam, Hamburg und Rostock wie seine Westentasche kennengelernt. Aber sein Schiff befuhr auch andere Routen, und so hatte er Häfen in allen Weltgegenden besucht. In Hamburg waren wir schon gewesen und einen halben Tag im Hafen herumgelaufen. Morgen würden wir eine andere Hafenstadt erreichen, die mein Vater in seiner Jugend kennengelernt hatte: Venedig. Und wenn wir endlich Athen erreichten, wollte er Piräus besuchen.
    Ehe wir uns auf die lange Reise begaben, hatte ich ihn gefragt, warum wir denn nicht lieber ein Flugzeug nahmen; dann hätten wir in Athen doch mehr Zeit, um Mama zu suchen. Aber er hatte den Kopf geschüttelt: Der ganze Witz an der Reise sei es doch, sie wieder mit nach Hause zu nehmen, und es sei mit Sicherheit leichter, sie ins Auto zu schubsen, als sie in ein Reisebüro zu schleifen und ihr einen Flugschein zu kaufen.
    Ich hatte außerdem den Verdacht, daß er gar nicht wirklich damit rechnete, sie zu finden. Dann wäre er so oder so um seine Ferien betrogen. Er hatte sich nämlich schon als Junge gewünscht, Athen zu besuchen. Und ausgerechnet in Piräus, das nur wenige Kilometer von Athen entfernt liegt, hatte sein Kapitän ihm nicht erlaubt, an Land zu gehen. Ich finde, dieser Kapitän hätte zum Schiffsjungen degradiert werden sollen.
    Viele Menschen fahren nach Athen, um sich alte

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