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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Rücken, und das jagte davon, so rasch seine sechs Beine es trugen.
    Ich war mir noch nie so ohnmächtig vorgekommen. Ich hätte sie natürlich aufhalten können. Ich hätte ihnen sicher auch den Hals umdrehen können. Aber keines von beidem hätte mich schließlich klüger gemacht.

KREUZ ZWEI
    ... er schwenkte zwei Fahrscheine...
    Als ich in dem kleinen Hotelzimmer in Venedig aufwachte, fiel mir als erstes wieder der Bäcker-Hans ein, dem auf der magischen Insel die Zwerge begegnet waren. Ich fischte die Lupe und das Brötchenbuch aus meiner Hose, die am Fußende des Bettes lag. Aber als ich gerade das Licht angeknipst hatte und anfangen wollte zu lesen, stieß Vater ein Löwengebrüll aus und erwachte ebenso plötzlich, wie er normalerweise einschlief.
    »Ein ganzer Tag in Venedig«, gähnte er. Im nächsten Augenblick stand er schon auf den Beinen.
    Ich mußte das Brötchenbuch unter der Decke in meine Hosentasche zurückschmuggeln. Schließlich hatte ich versprochen, alles, was darin stand, sollte ein Geheimnis zwischen mir und dem alten Bäcker in Dorf bleiben.
    »Spielst du Verstecken?« fragte Vater, als ich das Brötchenbuch gerade wieder verstaut hatte und unter der Decke hervorkam.
    »Ich suche nach Kakerlaken«, antwortete ich.
    »Und dazu brauchst du eine Lupe?«
    »Vielleicht haben die Babys«, sagte ich.
    Das war natürlich eine blödsinnige Antwort, aber in der Eile fiel mir nichts Besseres ein. Sicherheitshalber fügte ich hinzu: »Vielleicht wohnen hier auch Zwergkakerlaken.«
    »Man weiß ja nie«, antwortete Vater und verschwand im Badezimmer.
    Unser Hotel war so schlicht, daß es nicht einmal Frühstück servierte. Das war uns nur recht, denn wir hatten schon am Vorabend ein gemütliches Straßencafé gefunden, wo es zwischen acht und elf Frühstück gab.
    Auf dem großen Kanal und den breiten Wegen am Kanalufer war es noch ziemlich ruhig. Im Café bestellten wir Saft und Rührei, Toast und Apfelsinenmarmelade. Dieses Frühstück war auf der ganzen Reise die einzige Ausnahme von der Regel, daß man lieber zu Hause frühstücken sollte. Und mittendrin hatte mein Vater einen seiner lichten Einfälle. Erst saß er steifen Blickes da, und ich dachte schon, der Zwerg sei wieder aufgetaucht, dann sagte er: »Bleib hier sitzen, Hans-Thomas. Ich bin in fünf Minuten zurück.«
    Ich hatte noch immer keinen Schimmer, worauf er hinauswollte, aber ich hatte so etwas ja schon öfter erlebt. Wenn meinem Vater eine Idee kam, war er durch fast nichts zu bremsen.
    Er verschwand durch eine große Glastür auf der anderen Seite des Platzes. Als er zurückkam und sich wieder gesetzt hatte, aß er wortlos erst den Rest seines Rühreis, dann zeigte er auf den Laden, in dem er gewesen war.
    »Was steht dort auf dem Plakat, Hans-Thomas?«
    »Sartap-Anocna«, las ich rückwärts.
    »Ancona-Patras, ja.«
    Er tunkte ein Stück Toast in seinen Kaffee, ehe er es in den Mund schob. Was er fast nicht geschafft hätte, denn sein Mund war ein einziges breites Grinsen.
    »Na und?« fragte ich. Beide Namen waren für mich böhmische Dörfer, ob ich sie nun vorwärts oder rückwärts las.
    Vater blickte mir in die Augen. »Du bist nie zur See gefahren, Hans-Thomas. Du hast keine Ahnung vom Meer.« Er schwenkte zwei Fahrscheine und fuhr fort: »Ein alter Seemann kann einfach nicht um die Adria herumfahren . Und jetzt wollen wir keine Landratten mehr sein. Wir fahren mit dem Auto auf ein riesiges Boot – und mit dem schippern wir nach Patras an der Westküste des Peloponnes. Von dort sind es nur noch ein paar Dutzend Kilometer bis Athen.«
    »Bist du sicher?« fragte ich.
    »Natürlich bin ich sicher, zum Henker«, sagte er.
    Er fluchte wahrscheinlich so ungehemmt, weil er bald auf hoher See sein würde.
    So kam es, daß wir doch keinen ganzen Tag mehr in Venedig verbrachten, denn die Fähre nach Griechenland verließ Ancona noch am selben Abend, und bis dorthin waren es fast dreihundert Kilometer. Das einzige, was Vater noch sehen wollte, ehe er sich wieder hinters Lenkrad setzte, war Venedigs berühmte Glaskunst.
    Zur Glasschmelze braucht man offene Feuerstätten. Und wegen der Feuergefahr wurde die venezianische Glasproduktion auf die Inseln vor der Stadt verlegt. Das geschah bereits im Mittelalter. Heute heißt dieses Inselgebiet Murano. Dort wollte Vater auf dem Weg zum Parkhaus unbedingt vorbeischauen. Wir brauchten nur schnell unser Gepäck aus dem Hotel zu holen.
    In Murano besuchten wir zuerst ein Museum, in dem viele

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