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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Bad.«
    Bald hatten wir gepackt und gefrühstückt. Und danach saßen wir wieder im Auto. Als wir am alten Tempelgelände vorüberfuhren, sagte Vater: »Es ist ein phantastischer Gedanke, wie gutgläubig die alten Griechen waren.«
    »Weil sie an Orakel geglaubt haben?«
    Er antwortete nicht sofort, und ich fürchtete im stillen, er könnte das Orakel anzweifeln, daß wir in Athen Mama finden würden.
    »Das auch, ja«, sagte er schließlich. »Aber denk an die vielen Götter: Apollon und Asklepios, Athene und Zeus, Poseidon und Dionysos. Viele, viele hundert Jahre lang haben sie diesen Göttern kostspielige Tempel errichtet. Denk nur an die riesigen Entfernungen, über die sie die schweren Marmorblöcke heranschleppen mußten.«
    Ich verstand nicht viel von dem, worüber er da redete, trotzdem sagte ich: »Wie kannst du so sicher sein, daß es diese Götter nicht gegeben hat? Jetzt sind sie vielleicht verschwunden – oder sie haben sich ein anderes gutgläubiges Volk gesucht –, aber irgendwann sind sie über die Erde gewandert.«
    Mein Vater warf mir im Rückspiegel einen Blick zu.
    »Glaubst du das wirklich, Hans-Thomas?«
    »Ich bin nicht ganz sicher«, antwortete ich. »Aber irgendwie waren sie auf der Welt, solange die Menschen an sie geglaubt haben, denke ich. Ich denke, man sieht, was man glaubt. Darum wurden sie auch nicht alt oder fadenscheinig, solange die Leute nicht an ihnen zweifelten.«
    »Gut gesagt!« rief Vater. »Das hast du verflixt gut gesagt, Hans-Thomas. Vielleicht wirst du eines Tages auch ein Philosoph.«
    Ausnahmsweise merkte ich einmal selber, daß ich etwas Gescheites gesagt hatte. Es schien sogar, als müßte Vater darüber eine Weile nachdenken; jedenfalls schwieg er lange.
    Im Grunde hatte ich natürlich ein bißchen hochgestapelt, denn ich hatte nur wiederholt, was ich in dem Brötchenbuch gelesen hatte. Und an die Götter der alten Griechen hatte ich dabei gar nicht wirklich gedacht: Ich dachte an Frodes Patiencekarten.
    Als Vater auch nach einer guten Viertelstunde noch schwieg, fischte ich vorsichtig die Lupe und das Brötchenbuch aus der Hosentasche. Doch als ich gerade weiterlesen wollte, bremste Vater und fuhr an den Straßenrand. Er sprang aus dem Auto, steckte sich eine Zigarette an, schaute in die Straßenkarte und sagte: »Hier! Ja, hier muß es sein!«
    Ich schwieg. Wir hielten oben auf einem Berg, und links unter uns lag ein Tal, aber ich sah nichts, was Vaters plötzliche Begeisterung hätte erklären können.
    »Setz dich«, sagte er.
    Mir war klar, daß ein weiterer Vortrag anstand, aber diesmal ärgerte mich das nicht. Ich wußte, daß ich ein privilegierter Sohn war.
    »Dort hat Ödipus seinen Vater umgebracht«, sagte Vater und zeigte in das Tal.
    »Das war natürlich dumm von ihm«, sagte ich. »Aber wovon, zum Kranich, redest du überhaupt?«
    »Vom Schicksal, Hans-Thomas. Ich rede vom Schicksal. Oder von einem Sippenfluch, wenn du so willst. Und das müßte uns beide doch besonders interessieren – wo wir in dieses Land gekommen sind, um eine verschwundene Mutter und Gattin zu suchen.«
    »Und du glaubst an das Schicksal?« fragte ich.
    Vater stand halb über mich gebeugt und hatte einen Fuß auf den Stein gesetzt, auf dem ich saß. Er schüttelte den Kopf.
    »Nein. Aber die Griechen glaubten daran. Und wenn man sich dem Schicksal widersetzte, dann traf einen die gerechte Strafe.«
    Ich überlegte, ob ich diesen Fehler wohl schon begangen hatte, aber ich kam zu keinem Schluß, denn jetzt legte Vater erst richtig los.
    »In Theben, einer alten Stadt, an der wir bald vorbeikommen werden, lebte König Laios mit seiner Gemahlin Iokaste. Das Orakel in Delphi hatte gesagt, Laios dürfe nie Kinder zeugen, denn wenn er einen Sohn bekäme, würde der seinen Vater ermorden und seine Mutter heiraten. Als Iokaste dann doch einen Sohn zur Welt brachte, beschloß Laios, das Kind auszusetzen, damit es entweder verhungern oder von wilden Tieren gefressen werden sollte.«
    »Barbarisch«, sagte ich.
    »Natürlich, aber hör zu: König Laios befahl einem Hirten, das Kind auszusetzen. Sicherheitshalber durchbohrte er die Achillessehnen des Kleinen, damit der sich im Gebirge nicht bewegen und den Weg zurück nachTheben finden könnte. Der Hirte tat, wie ihm geheißen, aber als er mit seinen Schafen im Gebirge unterwegs war, traf er einen Schäfer aus Korinth, denn auch das Korinthische Königshaus hatte in dieser Gegend Weidegebiet. Dem Schäfer aus Korinth tat der kleine Knabe

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