Das Kartengeheimnis
Techtelmechtel mit irgendeinem hergelaufenen Seemann, der sich doch nur seinen Verpflichtungen entzogen hätte.“
„Hmmm... und wann wurde dein Vater geboren, Junge?“
„Ich...“
„Sag schon! Wann wurde dein Vater geboren?“
„Am 8. Mai 1791 in Lübeck, vor über einundfünfzig Jahren.“
„Und dieser Seemann – war sein Vater ein Glasbläsermeister gewesen?“
„Das weiß ich nicht. Großmutter hat nicht viel über ihn gesprochen. Vielleicht wegen des ganzen Geredes. Sie hat uns Kindern nur immer wieder erzählt, beim Auslaufen seines Schiffes sei er einmal hoch in die Takelage geklettert, um ihr zuzuwinken, und dann sei er heruntergefallen und habe sich am Arm verletzt. Sie lächelte immer, wenn sie das erzählte. Die ganze mißglückte Vorstellung war doch nur zu ihren Ehren gewesen.“
Der Alte starrte lange hinunter auf das Dorf.
„Dieser Arm“, sagte er schließlich, „ist näher, als du glaubst.“ Damit krempelte er den Ärmel seiner Jacke hoch und zeigte mir einige alte Narben auf seinem Unterarm.
„Großvater!“ rief ich. Dann nahm ich ihn in die Arme und drückte ihn fest an mich.
„Mein Sohn“, sagte er. Und dann begann er zu schluchzen. „Mein Sohn... mein Sohn...“
KARO DREI
... sie wurde von ihrem eigenen Spiegelbild angezogen...
Nun tauchte also auch in dem Brötchenbuch eine Art Sippenfluch auf. Ich fand, hier braute sich in jeder Hinsicht einiges zusammen.
Wir aßen in einer Dorftaverne zu Mittag. Wir saßen an einem langen Tisch unter zwei riesigen Baumkronen. Um die Taverne herum wuchsen in ausgedehnten Pflanzungen üppige Apfelsinenbäume. Wir aßen Fleischspieße und griechischen Salat mit Schafskäse. Als wir beim Nachtisch angelangt waren, erzählte ich Vater von dem Kalender der magischen Insel. Ich konnte ihm natürlich nicht verraten, woher ich davon wußte, deshalb sagte ich, solche Ideen kämen mir eben, wenn ich stundenlang allein auf dem Rücksitz säße.
Mein Vater staunte erst, dann rechnete er alles mit einem Kugelschreiber auf seiner Serviette nach.
»Zweiundfünfzig Karten macht zweiundfünfzig Wochen. Das ergibt 364 Tage. Dann haben wir dreizehn Monate mit achtundzwanzig Tagen – macht ebenfalls 364. Und in beiden Fällen gibt es einen überzähligen Tag.«
»Den Jokertag«, sagte ich.
»Ja, verflixt!«
Lange schaute er über die Apfelsinenbäume hin. Dann fragte er: »Und wann bist du geboren, Hans-Thomas?«
Ich wußte nicht, was er meinte.
»Am 29. Februar 1972«, sagte ich.
»Und was ist das für ein Tag?«
Da ging mir ein Licht auf: Ich war am Schalttag geboren, natürlich – und dem Kalender der magischen Insel nach auch am Jokertag. Wieso war mir das nicht schon beim Lesen eingefallen?
»Jokertag!« sagte ich.
»Genau!«
»Meinst du, das kommt daher, daß ich der Sohn eines Jokers bin – oder meinst du, ich bin womöglich selber einer?« fragte ich.
Mein Vater musterte mich ernst und sagte: »Beides natürlich. Wenn ich einen Sohn bekomme, dann am Jokertag. Und wenn du geboren wirst, geschieht das auch am Jokertag. So hängt das zusammen, verstehst du?«
Ich war mir nicht ganz sicher, ob er nur begeistert davon war, daß ich am Jokertag geboren war. Etwas an seiner Stimme brachte mich auf den Gedanken, er könnte befürchten, daß ich ihm in sein Jokerhandwerk pfuschen wollte. Jedenfalls wandte er sich rasch wieder dem Kalender zu.
»Und das hast du dir gerade erst ausgedacht?« fragte er immer wieder. »Ha! Jede Woche bekommt ihre Karte, jeder Monat seine Zahl von As bis König und jede Jahreszeit eine der vier Farben. Das kannst du dir patentieren lassen, Hans-Thomas. Soviel ich weiß, gibt es bis heute keinen brauchbaren Bridgekalender.«
Er rührte schmunzelnd in seinem Kaffee. Dann sagte er: »Zuerst hatten sie den Julianischen Kalender, dann sind sie auf den Gregorianischen umgestiegen. Jetzt ist es vielleicht an der Zeit, einen neuen einzuführen.«
Die Sache mit dem Kalender beschäftigte ihn offenbar noch mehr als mich. Er rechnete immer noch auf seiner Serviette, und plötzlich sah er mich mit dem schlauen Jokerfunkeln in seinen Augen an und sagte: »Und das ist noch nicht alles... Wenn du alle Symbole einer Farbe zusammenzählst, erhältst du einundneunzig. As ist eins, König dreizehn, Dame zwölf und so weiter – macht zusammen einundneunzig.«
»Wie einundneunzig?« fragte ich; ich kam hier nicht richtig mit.
Er hatte seinen Kugelschreiber und die Serviette weggelegt und schaute mir tief in die
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