Das Karussell der Spitzbuben
glauben Sie das?“
„Es könnte natürlich auch sein, daß Sie meiner Bitte, sich Zeit zu lassen, übertrieben wörtlich nachgekommen sind.“
„Ich habe noch in einer alten Zeitung geblättert. Warum riefen Sie nicht, wenn es Ihnen zu lange dauerte?“
„So war es nicht gemeint. Aber kommen wir zur Sache!“ Eine gewisse Feierlichkeit verklärte seine Stimme: „Miß Wilson, ich mußte feststellen, daß Sie bei Ihrer Suche nicht gründlich genug gewesen sind!“
Bonnie Wilson, die noch immer das Tablett in den Händen hielt, setzte es jetzt ab. Sie schüttelte den Kopf und rief beschwörend: „Aber ich habe jeden Winkel abgesucht. Wie kommen Sie da...“ Sie hielt inne. Erst in diesem Augenblick wurde ihr klar, was Scotts Worte wirklich bedeuteten. „Sie... Sie...“ Ihre Stimme versagte, und sie mußte sich räuspern. „Sie wollen damit sagen, daß Sie fündig geworden sind?“
„So ist es!“ nickte Marc Scott. „Und ich stand vor der Frage, ob ich das Versteck gewaltsam zerstören oder gemeinsam mit Ihnen darauf warten sollte, bis der Schlüssel, durch Feuer befreit, ans Tageslicht kommen würde. Ich habe mich für die Zerstörung des Verstecks entschieden. Hier!“ Der Detektiv hielt Bonnie Wilson einen Schlüssel entgegen. Einen Schlüssel, der sich etwas stumpf anfühlte. Wortlos nahm ihn die junge Frau in die Hand und tastete sich nach dem nächsten Sessel. Fassungslos starrte sie auf den Fund.
„Sie haben ihn tatsächlich entdeckt“, murmelte sie. Scott, der sich ihr gegenübersetzte, sagte: „Nur ihn. Keine Geburtsurkunde, keinerlei Identitätspapiere oder ähnliches. Aber die hätten darin wohl auch kaum Platz gehabt. Den Rest habe ich dort hinten in den Karton gelegt.“
„Der Schlüssel...“
„Ja, ein Schlüssel zu einem Bankschließfach.“
„Aber wie soll ich je herausfinden, zu welcher Bank das Schließfach gehört?“
„Die Polizei wird Ihnen sicher behilflich sein“, erwiderte Scott ernst, und man konnte es ihm ansehen, daß er sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut fühlte.
„Wieso Polizei?“ fragte Bonnie Wilson verständnislos. Irgend etwas in Scotts Miene beunruhigte sie.
„Sie sind so sonderbar. Sie verschweigen mir also doch was?“
Der Detektiv nickte: „Ich schulde Ihnen in der Tat eine Geschichte. Und wäre dieser Schlüssel nicht aufgetaucht, hätte ich sie Ihnen vielleicht sogar vorenthalten...“
„Was ist das für eine Geschichte?“
„Nachdem Sie gestern gegangen waren, habe ich einen Bekannten angerufen. Er arbeitet im Yard. Ich gab ihm den Namen Howard Townsend durch, weil ich befürchtete, daß weit mehr hinter der Angelegenheit steckte, als Sie jemals ahnen konnten. Heute morgen, kurz bevor ich aufbrach, um Sie abzuholen, erhielt ich Bescheid.“
Bonnie Wilsons Augen hatten allen Glanz verloren. „Und??“ flüsterte sie.
„Sie erinnern sich noch, daß Ihnen Ihr Freund erzählte, nicht in geschlossenen Räumen arbeiten zu wollen?“
Sie nickte stumm.
„Der Grund dieser Abneigung gegen geschlossene Räume ist: Er saß fünf Jahre Gefängnis ab. Allerdings nicht in Kanada, sondern in Australien. Von dort stammt er auch. Nach seiner Entlassung, er war wegen räuberischer Erpressung verurteilt worden, schloß er sich einer berüchtigten Bande von Bankräubern an. Eines Tages, es war in Brisbane, verschwand er mit der gesamten Beute aus einem Überfall. Und da Howard Townsend dabei auch zwei Bankangestellte niederschoß, wurde er nicht nur von seinen ehemaligen Komplizen gejagt, sondern sein Name steht auch auf der Fahndungsliste von Interpol.“
Es war längere Zeit still im Raum.
Es schien Bonnie Wilson viel Überwindung zu kosten, ihre Frage zu stellen: „Die beiden Männer, die man an der Raststätte Brokersfield festgenommen hat, sind das die Mörder von Henry?“
„Sie haben versucht, mit Gewalt aus Howard Townsend das Versteck herauszupressen. Doch alles, was sie von ihm erfuhren, war Ihr Name. Townsend liegt seit über einer Woche auf der Intensivstation des King-Georg-Hospitals. Sollte er je wieder gesund werden, wird man ihn nach Australien bringen und dort vor ein Gericht stellen. Und was das Schließfach anbetrifft, Miß Wilson, sollten Sie sich über eines klar sein: Alles, was Sie dort finden werden, ist entweder Diebesgut oder aber von gestohlenem Geld gekauft worden.“
Bonnie Wilson legte den Schlüssel mit einer unendlich müden Geste auf die Tischplatte. „Nehmen Sie ihn. Sie werden wissen, wer für ihn
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