Das Karussell der Spitzbuben
Gänsehaut überzogen wurde. Für den Kutscher jedoch schien dieses Geräusch ein besonderes Zeichen zu sein. Wortlos öffnete er die Tür und ließ Passou den Vortritt.
Mit zitternden Beinen und butterweichen Knien folgte dieser der Aufforderung. Dabei fühlte er, wie ihm der Angstschweiß in dünnen Bahnen zwischen den Schulterblättern entlanglief.
Hunderte von Stearinkerzen erhellten einen weitläufigen Salon, in dessen Mitte eine gedeckte Tafel stand. Sie war für zwei Personen gedeckt und zeigte kostbares Geschirr, Tafelsilber mit altmodischen Verschnörkelungen, teure Gläser und einen Berg lukullischer Kostbarkeiten. Nur eines fehlte: der oder die Gastgeber.
André erinnerte sich des entsetzlichen Schreies und sah sich hilfesuchend nach seinem Begleiter um... Doch der war verschwunden.
Passou wollte zur Tür stürzen, als sich diese öffnete und ein Mann eintrat. Er war alt, weißhaarig und sah aus, als sei er soeben einem antiken Gemälde entstiegen.
,Bitte, Monsieur, nehmen Sie Platz und seien Sie mein Gast!’ sagte er, faßte André am Arm und dirigierte ihn mit sanfter Gewalt zur Tafel.
Immer wieder versuchte André Passou eine Unterhaltung in Gang zu bringen, doch es blieb vergebliche Liebesmüh. Das einzige, was der alte Mann erwiderte, war:
,Nehmen Sie was von der Gänseleber... versuchen Sie mal diesen Hummer... die Wildschweinbrust ist ausgezeichnet...’
So verging eine gute halbe Stunde, und André hatte den Entschluß, dem Kutscher nach Loupou zu folgen, längst bereut.
Zum zweitenmal an diesem Abend schenkte ihm der Weißhaarige Wein ein. Diesmal war es ein roséfarbener, und Passou fand, daß er einen etwas eigenartigen Nachgeschmack hatte... Plötzlich begann sein Gastgeber das faltige Gesicht zu einer höhnischen Grimasse zu verziehen. Passou empfand es jedenfalls so, und er wollte etwas fragen... Doch trotz aller Anstrengung brachte er die Zähne nicht auseinander... Er spürte deutlich, wie eine eigenartige Verwandlung mit ihm vorging. Wie seine Beine und seine Arme zentnerschwer wurden und wie vor seinen Augen in immer kürzeren Abständen die Konturen des alten Mannes verschwammen.
Hilflos sah André Passou auf sein Gegenüber, das sich mit einem leise meckernden Lachen erhob und zur Tür ging. Zuerst klatschte er kräftig in die Hände, dann legte er die Hand auf den Lichtschalter.
André sah auf die Tür, und das Blut in seinen Adern gerann: Zwei riesenhafte Gorillas kamen gebeugt und mit wiegenden Schritten auf ihn zu. Doch nicht allein das war es, was ihn so erschreckte. Es waren die gefletschten gelben Zähne und das leuchtende Rot ihrer Felle... Gibt — es — denn — rote — Affen? überlegte Passou, jedes Wort mühsam im Geiste formend.
Er sah, wie sich die beiden Gorillas über ihn beugten, er spürte für Sekunden ihren heißen, stinkenden Atem, und er sah, wie der weißhaarige Alte den Schalter niederdrückte und das Licht verlosch. Dann versank er in einer nichts mehr fühlenden Leere.
Als André Passou erwachte, lag er auf einem Bett. Wo dieses Bett stand, konnte er jedoch nicht sehen, da um ihn totale Finsternis herrschte.
Es dauerte fast eine Minute, bis er sich der mysteriösen Ereignisse erinnerte. Und dann fuhr er erschrocken zusammen. Irgendwas hatte sich schwer über seine Beine gelegt. Vorsichtig richtete sich André auf und tastete mit der Hand nach vom. Doch als habe er in eine offene Flamme gelangt, riß er sie wieder zurück. Ganz deutlich hatte er das zottelige Fell gespürt... Es gab keinen Zweifel darüber, daß ihn einer der roten Affen bewachte.
André Passou lag still. Seine Sinne waren geschärft, und krampfhaft versuchte er etwas zu erlauschen. Seine Ohren registrierten einen leisen, pfeifenden Atem zu seiner Rechten... Dann ertönte das gleiche Geräusch auch von links... Sollte es noch mehr Opfer außer ihm hier geben?
,Hallo. .,!’ rief er leise in das Dunkel. ,Hallo, ist hier jemand?’ Keine Antwort.
Behutsam streckte er seine linke Hand aus. Plötzlich verstummte das Atemgeräusch, ein schrill kreischender Ruf gellte durch die Finsternis und brach sich hallend an den Wänden. Andrés Hand wurde ergriffen, und harte Nägel bohrten sich in den Handrücken. Dann fühlte er etwas Haariges über sein Gesicht streifen. Fast schmerzhaft empfand er den Schlag seines Herzens.
Mit einem Ruck befreite er seine Hand und hielt bebend den Atem an, als erwartete er einen tätlichen Angriff der Tiere. Passou wußte längst, daß er es nicht
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