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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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sondern einem Mann, der wusste, was er wollte. Und es sich nahm. Unerfahren wie ich war, schloss ich die Augen und wartete darauf, dass etwas mit mir passierte.
    Wieder wurde ich enttäuscht. Ich fühlte kein Prickeln, keinen erregten Schauer und schon gar keine selige Verzückung, wie es die Kussszenen der Leinwandheldinnen suggerieren. Und romantisch fand ich es auch nicht. Die ganze Zeit musste ich bloß daran denken, dass er nach Zigaretten und Bier schmeckte. Ich war froh, als es vorbei war. Allerdings fragte ich mich, ob mit mir nicht etwas falsch war – er war schließlich ein Mann von Welt, oder?
    » Du liebes, süßes Ding « , sagte mein selbst ernannter Liebhaber und strich mir übers Haar. » Wir müssen bald wieder ausgehen. Ich bin sicher, wir haben noch viel Spaß miteinander. « Er schien über etwas nachzudenken, und ich fragte mich, ob das nicht ein einseitiger Spaß werden könnte. » Weißt du was, ich habe einen Freund, der besitzt ein Wochenendhaus in den Peaks. Und von einem anderen Freund könnte ich mir ein Flugzeug leihen, um dorthin zu fliegen. Was hältst du davon? «
    » Klingt toll « , stammelte ich ein wenig verdattert. Was meinte er damit? Schlug er wirklich vor, wir sollten ein Wochenende miteinander verbringen? Nur wir beide? Das war nicht nur unschicklich, sondern auch ein bisschen überstürzt – selbst für James Stewart.
    » Du bist gestern Abend spät heimgekommen. Hattest du Spaß, Liebes? « , erkundigte sich Mutter, als wir den Frühstückstisch abräumten.
    » Großartig. Der Film war lustig « , murmelte ich. » James Stewart ist ein toller Schauspieler. «
    » Ein reizender junger Mann, nicht wahr? Dein Vater ist sehr von ihm angetan « , sagte sie fahrig. Sie meinte natürlich Robbie und nicht James Stewart.
    Vermutlich war er der ideale Schwiegersohn. Der Stoff, aus dem Elternträume sind. Wenn alle ihn so großartig fanden – wieso sollte ich mich da nicht in ihn verlieben können? Nur wusste ich nicht, wie ich es herausfinden konnte. Ich beschloss, Vera bei nächster Gelegenheit zu fragen, die bestimmt in dieser Hinsicht über einen reicheren Erfahrungsschatz verfügte. Sie hatte ohnehin einen Besuch angekündigt.
    Ein paar Tage später aßen Mutter, John und ich am Küchentisch zu Abend. Vater würde über Nacht in London bleiben. Die Fabrik lag im Dunkeln, nur die Beleuchtung der neuen Veredelungsanlage warf grelle Lichtstreifen über den leeren Hof.
    John schob den Kartoffelsalat lustlos auf seinem Teller herum.
    » Hast du keinen Hunger, mein Junge? « , fragte Mutter.
    » Schon okay « , sagte er gereizt.
    » Tut mir leid, dass es heute Abend bloß kaltes Essen gibt, aber ich dachte, bei dem Wetter … «
    » Ich sagte doch, ist schon okay. « Seine Stimme klang wie ein Peitschenhieb.
    Wieder trat Stille ein, dann warf er Messer und Gabel auf den Tisch. » Es ist dieser verdammte Bottich in der Veredelungsanlage. Ich schaffe es einfach nicht, dass Thermostat und Timer ordentlich funktionieren, obwohl ich es so oft versucht habe. Unmengen an Seide sind bereits durch Überhitzung draufgegangen, und für Fallschirme kann man sie nicht mehr verwenden. Ich bezweifle, dass sie überhaupt noch für etwas taugt. Wir haben Tausende in diese Anlage investiert, doch wenn wir die Seide nicht richtig hinkriegen, wird es nichts mit den Verträgen, und wir bleiben auf unseren Schulden sitzen. «
    Seufzend rieb er sich das stoppelige Kinn. » Ich werde nach dem Abendessen noch mal rübergehen und weiter herumprobieren. «
    » Muss das wirklich sein? Du siehst jetzt schon erledigt aus « , meinte Mutter.
    » Soll ich helfen? « , fragte ich ganz spontan.
    » Warum solltest du? Du hast bereits einen langen Arbeitstag hinter dir. «
    » Es geht auch mich etwas an, weißt du. Die Zukunft der Fabrik ist mir schließlich nicht gleichgültig. « Er zog fragend eine Augenbraue hoch. Ich verstand es selbst nicht so recht, aber meine Einstellung zu meiner Arbeit hatte sich grundlegend geändert. Ich sah sie nicht länger bloß als Zwischenlösung, um so schnell wie möglich wegzukommen. Sie fing an, mir wirklich wichtig zu werden.
    » Dann komm mit « , sagte er, schob den Stuhl zurück und stand vom Tisch auf. » Es schadet nicht, wenn jemand unvoreingenommen einen Blick darauf wirft. Und vier Augen sehen sowieso mehr als zwei. «
    Anders als die Weberei mit ihrem Ölgeruch und der eher spärlichen Beleuchtung wirkte der Raum, in dem die Veredelungsanlage stand, hell, sauber und

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