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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Zigarette mit unerwarteter Heftigkeit aus. Ich fragte mich, woran er bei seinen Worten wohl dachte, vergaß es jedoch wieder, bis ich es später von Vera erfuhr.

Kapitel 7
    Die Seide, die wir wegen ihrer Weichheit und Schönheit lieben, ist zugleich eine der stärksten und widerstandsfähigsten Fasern überhaupt. Ihre Stärke beträgt etwa fünf Gramm pro Denier, verglichen mit drei Gramm pro Denier für einen Draht aus Flussstahl. Sie ist sehr viel elastischer als Baumwolle oder Leinen, und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Scher- oder Drehkräfte ist erheblich größer als die der neuen Fasern Rayon und Nylon.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Vera hatte ihren Besuch für das nächste Wochenende angekündigt. Seit sie in London lebte, kam sie selten nach Hause. Ich vermisste meine Freundin, unsere Gespräche ebenso wie das Herumalbern mit ihr. Alles eben, womit sich zwei junge Mädchen vergnügten.
    Selbst Telefonieren war schwierig. Sie konnte bloß am öffentlichen Telefon in einem Flur des Schwesternwohnheims sprechen, und an meinem Ende neigte Vater dazu, unsere Gespräche mit Hinweis auf die Kosten rigoros abzukürzen. Alles, was ich bisher mitbekommen hatte, war, dass ihre Oberschwester eine Tyrannin sei und sie selbst zunehmend unter der Doppelbelastung von Lernen für die Schwesternschule und dem Dienst auf der Station leide.
    Und so stand sie am Freitagabend, noch in ihrer Schwesterntracht, blass vor Erschöpfung an der Haustür. » Bin gerade erst angekommen « , sagte sie. » Mit dem Sechsuhrzug ab Liverpool Street. «
    Ich umarmte sie. » Bleibst du das ganze Wochenende hier? «
    Sie nickte. » Gott sei Dank. Ich bin völlig erledigt. « Sie seufzte.
    » Hast du was Bestimmtes vor? «
    » Viel schlafen. Mich auf den neuesten Stand bringen lassen. Dich treffen, natürlich. Ich kann es kaum erwarten, wieder mal richtig zu tratschen. «
    » Ich auch nicht. Ohne dich ist es hier ausgesprochen trübselig. « Ich zog eine Grimasse. » Hast du Zeit für einen Drink? «
    » Ich sollte eigentlich möglichst schnell nach Hause gehen … Aber gut, einen auf die Schnelle. « Sie schaute irgendwie merkwürdig an mir vorbei in den Flur. » Wo ist John? «
    » Wie üblich in der Veredelungshalle, nehme ich an. Warum? «
    Sie ignorierte die Frage. » Können wir uns nach draußen setzen? « , fragte sie. » Ich brauche wirklich ein bisschen frische Luft. «
    » Klar, dann nehmen wir uns ein paar GT s mit. «
    » Prima Idee. «
    Der alte Apfelbaum war seit jeher unser Lieblingsort. Hier hatten wir uns über Gott und die Welt unterhalten, natürlich vor allem über die Schule und über Jungs, für die wir gerade schwärmten. An diesem Ort fühlten wir uns sicher, weil niemand zuhörte. Inzwischen stand die Sonne bereits tief am Himmel und schimmerte rosa durch die raschelnden Pappeln hinter der Streuobstwiese. Das Gras war hoch, im Klee summten Bienen, und von irgendwoher hörten wir das Gurren der zahmen Lachtauben, die noch nicht in ihren Schlag zurückgekehrt waren.
    Wir setzten uns auf die wackelige Holzbank unter dem Baum, und das Eis in unseren Gin-Tonic-Gläsern klirrte.
    » Es ist so schön hier, ich habe das vorher nie wirklich zu schätzen gewusst « , seufzte sie. » Die blühenden Bäume ringsum. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich das viele Grün vermisse. «
    » Wie ist die Arbeit? « , fragte ich. » Ich will alles wissen. «
    » Ach, okay « , antwortete sie müde.
    » Du klingst nicht gerade überzeugend. Ist wirklich alles in Ordnung? «
    » Ja « , sagte sie ein wenig entschiedener. » Die Arbeit ist hart – trotzdem macht sie Spaß. « Sie verstummte und nahm einen Schluck von ihrem Drink.
    » Aber? « , hakte ich nach. » Komm schon, Vera. Irgendwas ist los. Du kannst mir nichts vormachen, dafür kenne ich dich zu gut. «
    Zu meiner Erleichterung lächelte sie jetzt. » Ich wollte es eigentlich noch nicht erzählen, doch ich kann’s nicht länger für mich behalten. Versprich mir nur, nicht sauer zu sein. «
    » Um Himmels willen, worum geht es denn? «
    Nach einer Pause erklärte sie leise. » Um John und mich. «
    Zunächst kapierte ich nichts. » Was ist mit John und dir? «
    » Wir sind zusammen. «
    Endlich fiel der Groschen. » Was? John? Du? Ich glaube es nicht. Du machst Witze. « Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie das nicht tat, und ich ruderte schnell zurück. » Meine Güte! Ich meine … O Vera! «
    » Wir sind in London gemeinsam ausgegangen. Beim

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