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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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freundlich mit den frisch geweißelten Wänden und den glänzenden Edelstahlkesseln und -röhren, die an eine Wäscherei erinnerten. Und so roch es hier auch.
    Zwar war ich beim Aufbau dabei gewesen, doch ich hatte die Anlage noch nie in Betrieb gesehen. John zeigte mir jetzt, wie die Seide durch zwei große Zuber mit kochendem Wasser gezogen wurde, um sie von den gummiartigen Rückständen zu befreien und auszuwaschen. Wie sie danach auf Spannrahmen die richtige Breite erhielt, bevor sie zum Trocknen in einen Heißluftschrank kam, um dort schließlich durch Rollen zu laufen und gepresst zu werden.
    » Sieht einfach aus, nicht wahr? Aber das ist es nicht. Die Seide muss mit der exakt richtigen Geschwindigkeit und bei der genau richtigen Temperatur durch den Trockner laufen. Damit sie gerade noch feucht genug ist, um durch die Rollen gejagt zu werden, die sie gewissermaßen bügeln – wir nennen das Satinieren. «
    Auf einem Regal lagen Ballen unbehandelter weißer Seide, die Stefan und ich gewebt hatten. » Die Kessel sind aufgeheizt, und laut Thermostat haben sie die richtige Temperatur. Wollen wir es also noch mal probieren? Hilf mir mit dem Ballen hier! «
    » Warte einen Moment « , sagte ich. » Hast du nicht gesagt, es gebe ein Problem mit dem Thermostat? «
    Er runzelte die Stirn. Warum stellte ich schwierige Fragen, obwohl ich von der Sache nichts verstand? » Woher soll ich das wissen, bevor wir es ausprobiert haben? «
    » Können wir nicht ein Thermometer benutzen? Eins von der herkömmlichen Sorte? «
    » Wo zum Teufel kriegen wir mitten in der Nacht so etwas her? «
    » Mutters Einmachthermometer aus Messing, das über dem Herd hängt. Ich laufe schnell und hole es. « Einem Mann wäre diese Idee vermutlich nie gekommen, dachte ich amüsiert. Die wussten vermutlich nicht mal, dass es Thermometer für die Küche gab.
    Wir ließen das Thermometer an einem Stückchen Draht in den Kessel hinab. Nachdem die Pressen einsatzbereit waren, betätigte John einen Schalter, und die Maschine setzte sich in Gang und zog die Seide durch die ersten beiden Kessel. Der Schweiß rann uns in Strömen übers Gesicht, als wir Seite an Seite die Seide auf den Spannrahmen zogen. John wandte seine Aufmerksamkeit auf das Bedienpult und überprüfte das Thermometer, während ich hinausging, um mich abzukühlen.
    Als ich zurückkehrte, schaute er mir schon entgegen. Ein bisschen verärgert noch, aber vor allem erleichtert. » Du hattest recht. Der Thermostat stellte, sobald er einhundert Grad zeigte, den Kocher ab – nach Mutters Thermometer waren wir da gerade mal bei siebenundachtzig Grad. Um das Wasser zum Kochen zu bringen, muss der Thermostat höher eingestellt werden – das verdammte Ding spinnt offenbar. « Er klang, als hätte die Maschine ihn persönlich beleidigt. Deshalb verbarg ich meine Genugtuung, dass ich die rettende Idee gehabt hatte, und beobachtete geschäftsmäßig, wie die Seide aus dem Trockner kam.
    » Sollte diese Seide nicht eigentlich schön glatt aussehen? « , rief ich laut über das Grollen der Maschine hinweg.
    » Verdammt! Was zum Teufel ist jetzt schon wieder verkehrt? « , fluchte John und schaltete schnell die Anlage aus, die mit einem Seufzer ihren Betrieb einstellte. » Wenn ich die Rollen langsam rückwärtslaufen lasse, kannst du dann die Falten herausziehen? «
    » Ich will’s versuchen. «
    » Pass auf deine Finger auf. «
    » Mach ich. Los! « Als die Seide sich wieder aufrollte, entdeckte ich sogleich die Ursache des Problems. » Ich glaube, diese Rolle ist ein wenig aus dem Lot geraten « , rief ich. » Deshalb rollt sich die Seide nicht gerade auf. «
    Er hielt die Maschine an und kam zurück. » Mein Gott, Lily, du hast schon wieder recht. Man kann sich wirklich auf niemanden mehr verlassen! « Er ging zu einer Werkzeugkiste und holte einen großen Schraubschlüssel heraus. » Wir müssen die Achse justieren. «
    Sobald das geschehen war, begann die ganze Prozedur noch einmal von vorne. Ich weiß nicht genau, wie lange wir brauchten, doch als ich das nächste Mal auf die Uhr an der Wand sah, war es bereits halb zehn. Wir hatten gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verflogen war.
    » Jetzt müssen wir sie testen « , sagte er. » Hilf mir, sie rüberzuheben. Dieses Ding hier ist ein Berstprüfgerät. Damit lässt sich feststellen, wie viel Spannung die Seide aushält, bevor sie reißt. Und dann müssen wir sie noch durch den Porositätsprüfer laufen lassen. Das ist der wichtigste

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