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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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zweiten Mal hat er mich geküsst. «
    Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch mein Magen zog sich unangenehm zusammen. Warum bloß? Was hatte ich dagegen? War ich etwa eifersüchtig und wenn, auf wen? Obwohl ich wusste, dass meine Reaktion albern war, empfand ich die Nachricht wie einen Schlag ins Gesicht.
    Wieso gefiel er Vera überhaupt mit einem Mal? Ich dachte an die Zeiten, als wir uns gegen ihn verbündet hatten, um ihm eins auszuwischen oder ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Und daran, dass er sie von der Schaukel geschubst hatte, was sie ihm angeblich nie verzeihen wollte. Und jetzt das. Irgendwie kam es mir vor, als ob sie sich nun gegen mich verbündet hätten. Es fühlte sich an, als habe John mir meine beste Freundin gestohlen. Und sie hatte mitgemacht. Das war nicht fair.
    Nachdem es raus war, strömten die Worte nur so aus ihrem Mund, als sei in ihrem Innern ein Damm gebrochen. » Ich war schon eine Weile in ihn verknallt – eigentlich seit er letztes Jahr zurückgekommen ist. Aber ich konnte nicht wirklich glauben, dass er sich für mich interessierte. Als er sich mit mir verabredete, dachte ich, er wollte bloß nett zur Freundin seiner Schwester sein. Doch dann wurde es immer mehr, und er brachte mich dauernd zum Lachen. Als wir gemeinsam im Kino waren, hat er mich geküsst und gesagt, er hoffe, dass ich dasselbe empfinde wie er. Ich glaube, ich bin verliebt. «
    Während sie weiterredete, kippte ich meinen Drink in einem Zug hinunter. Um meine Enttäuschung zu betäuben, meine Eifersucht. Vera bemerkte es zum Glück nicht, dass mich die Neuigkeit eher verstimmte. Sie jedenfalls war rundum glücklich trotz ihrer Erschöpfung. Ihre Wangen hatten ein bisschen Farbe bekommen, und der müde, abgespannte Ausdruck war aus ihrem Gesicht gewichen. Mit dem Lachen waren sogar ihre Grübchen zurückgekehrt. Warum also konnte ich mich nicht einfach für sie freuen? Zumal mein Bruder ein anständiger Kerl war, umgänglich, beruflich erfolgreich mit einer gesicherten Zukunft – eine gute Partie. Und umgekehrt würde Vera John bestimmt eine liebevolle Frau sein.
    » Hast du sonst schon jemandem davon erzählt? « , wollte ich wissen.
    » Nein. John will das im Augenblick nicht. Versprich mir, dass du es für dich behältst, bis er selbst etwas sagt. «
    » Meine beste Freundin hat was mit meinem Bruder. Wie kann ich das für mich behalten? «
    » Wenn du’s nicht tust, werde ich dich wohl kielholen müssen « , sagte sie mit diesem Piratentonfall, mit dem wir als Kinder sprachen, wenn wir die Geschichte von Peter Pan auf der Insel nachspielten. » Geh über die Planken! Pass auf die Krokodile auf! «
    Ich lachte und fühlte mich ein bisschen besser. » Wann wollt ihr es den Familien mitteilen? «
    » Bald, glaube ich. Wahrscheinlich. Hängt davon ab, was passiert … «
    » Was meinst du damit? Wollt ihr durchbrennen oder was? « Sie seufzte und legte das Gesicht in die Hände. » Vera? « Ich nahm sie bei der Schulter. » Ich dachte, du seist glücklich? «
    » Bin ich auch. Natürlich « , sagte sie und setzte sich auf. » Aber es ist kompliziert. « Sie leerte ihr Glas. » Da ist noch etwas … Eigentlich darf ich darüber ebenfalls nicht reden. «
    » Komm, jetzt spuck’s endlich aus « , sagte ich burschikos. Sie war doch wohl nicht schwanger?
    » O Lily « , stieß sie plötzlich schluchzend hervor. » Wenn es Krieg gibt, will er sich freiwillig melden. Was soll ich bloß tun? «
    Die Farben der Wiese und des Abendhimmels schienen zu verblassen, sahen plötzlich aus wie eine überbelichtete Fotografie, und das ausdauernde Gurren der Lachtauben kam mir plötzlich verstörend laut vor. » Das glaube ich nicht. Warum erzählt er das dir – und nicht uns? « Ich hatte meine Stimme kaum unter Kontrolle.
    Vera schüttelte bloß traurig den Kopf.
    Als ich sie mit einem Mal so unglücklich sah nach all der Freude, packte mich die Wut. Auf die Situation und den drohenden Krieg, der nach meiner Familie griff, aber vor allem auf meinen Bruder. » Was für ein dummer, dummer, egoistischer Kerl « , hörte ich mich schreien. » Er denkt nur an sich. Was ist mit dir? Was mit Mutter und Vater? Sie werden am Boden zerstört sein. «
    » Ich hätte es dir nicht sagen sollen « , flüsterte sie mit brechender Stimme.
    » Und das, obwohl er vom Wehrdienst befreit würde, meint Vater. Weil die Herstellung von Fallschirmseide als kriegswichtige Aufgabe gilt und ihn unabkömmlich macht. Er muss nicht kämpfen, verstehst du,

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