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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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«
    » Ich werde natürlich nicht darauf eingehen. «
    » Du musst das tun! Wann bekommst du je wieder so eine Chance? Zum Teufel mit deiner Jungfräulichkeit, irgendwann wirst du sie sowieso los. « Vera klang, als spräche sie aus Erfahrung und hätte es bereits hinter sich. Erneut kehrte mein Unbehagen vom Vortag zurück. Sie und mein Bruder … Ich mochte mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie miteinander schliefen. Allerdings war es in Bezug auf Robbie weniger die Sache mit der Jungfräulichkeit, die mich beschäftigte.
    » Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau, was ich für ihn empfinde. Er ist zwar weltmännisch und recht attraktiv, fährt ein schickes Auto, und meine Eltern halten ihn für die Krone der Schöpfung, aber … «
    » Was aber? «
    Wie sollte ich es ihr erklären? Ich verstand mich selbst ja kaum. Schließlich hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als einen Freund und war enttäuscht gewesen, weil Robbie sich nicht meldete. Und jetzt, da es ernst wurde, überfielen mich schwerste Zweifel, und ich würde am liebsten kneifen. Und das lag eindeutig nicht nur daran, dass mir alles ein bisschen zu schnell ging.
    » Was ist los, Lily? « Langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. » Es gibt noch einen anderen, oder? Meine Güte, stille Wasser gründen tief. Los, erzähl schon! «
    » Nein « , sagte ich fest. » Da ist kein anderer, und folglich gibt es auch nichts zu erzählen. «
    Das stimmte zwar, denn es war wirklich nichts Greifbares, doch etwas war geschehen. das mir nicht mehr aus dem Kopf ging.
    Die ganze Woche über war es drückend heiß gewesen. In der Weberei herrschte eine solche Hitze, dass wir uns ständig den Schweiß von unseren feuchten Händen wischen mussten, damit die Seide keine Flecken bekam. Selbst in der Kantine mit ihren großen Fenstern war die Luft stickig und schwül, weshalb viele es vorzogen, die Pausen im Freien zu verbringen. So auch die drei deutschen Jungen und ich.
    Meist verbrachten wir die Zeit gemeinsam, doch eines Tages saß Stefan alleine auf der Bank hinterm Kesselhaus. Dort war es kühl, denn das vorspringende Dach schützte vor direkter Sonneneinstrahlung.
    » Wo sind die anderen? « , fragte ich. Kurt und Walter waren nicht mehr in der Packabteilung, sondern gingen jetzt Bert an der neuen Veredelungsanlage zur Hand. Es war ein Aufstieg für sie.
    » Sie müssen noch ein paar Ballen fertig machen, bevor sie in die Pause gehen können, sagt Bert. «
    Eine leichte Brise wehte eine weiße Wolke aus Weidenflusen über die Wiesen. » Schneit es in England im Juni? « , fragte Stefan spöttisch, als ich mich zu ihm setzte.
    » Sehr witzig! Das sind bloß die Samen der Silberweiden. «
    » Silberweiden? «
    » Die großen, geraden Bäume in der Plantage dahinten. « Ich deutete mit dem Finger darauf. » Sie werden eigens angepflanzt, um aus ihrem Holz Kricketschläger zu machen. «
    Er schaute zu den Bäumen. » Wenn man die fällt, gibt es eine Menge Schläger. «
    » Jeder englische Junge braucht einen. «
    » Ihr und euer Kricket « , lachte er.
    » Es ist fast wie eine Religion « , sagte ich.
    » Warum verwendet man ausgerechnet dieses Holz dafür? Was ist daran so besonders? «
    » Das Holz der Weiden ist biegsam und haltbar zugleich und splittert nicht – das ist beim Kricket wichtig, weil da ziemlich kraftvoll geschlagen wird. «
    » Ich kenne mich mit diesem Sport nicht aus, den gab’s bei uns nicht « , sagte er, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und klopfte zwei heraus. Zündete beide an und reichte eine an mich weiter. Die Intimität dieser Geste löste etwas in mir aus. Freude? Eine leichte Erregung? Ich ertappte mich jedenfalls dabei, wie ich ihn unwillkürlich beobachtete. Seine Bewegungen waren ebenso kontrolliert wie geschmeidig, und plötzlich kam Stefan, an dem alles dunkel war, mir vor wie eine schlanke, elegante schwarze Katze.
    » Erzähl mir von deiner Stadt « , sagte ich und bemühte mich vergeblich, Rauchringe in die Luft zu blasen.
    » Von Hamburg? Es ist ein herrlicher Ort. An einem breiten Fluss, der Elbe, gelegen mit einem großen Hafen, in dem Schiffe aus aller Welt ankommen. Am meisten mag ich die Musikszene, die vielen Jazzklubs und Lokale. « Die Finger seiner linken Hand spielten eine stumme Melodie auf seinem Knie.
    » Wo hast du Klavierspielen gelernt? «
    » Bei meiner Mutter. Sie hat mich klassische Musik gelehrt: Mozart, Bach, Beethoven. Sie ist ausgebildete Konzertpianistin, aber weil es

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