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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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weil er zu Hause gebraucht wird. «
    » Ich habe das alles schon mit ihm durchgesprochen. « Veras Gesicht war fleckig und ihr Blick verzweifelt. » Aber er sagt, er könne nicht zu Hause bleiben, während andere kämpfen. Und man müsse die Deutschen aufhalten, bevor sie auch in England einmarschieren. « Jetzt fing sie richtig an zu schluchzen, ihre Schultern zuckten, und ihre Tränen hinterließen schmierige Spuren auf ihren Wangen.
    Ich reichte ihr ein nicht mehr ganz sauberes Spitzentaschentuch.
    » Ja schon. Trotzdem muss er sie nicht persönlich aufhalten « , sagte ich, während Vera ihre Tränen trocknete. Ich betrachtete die Ameisen, die den Baumstamm hinauf- und hinunteriefen, gefangen in ihrer Miniaturwelt, und in diesem Moment beneidete ich sie um ihr einfaches, begrenztes Leben. » Wie sollen wir in der Fabrik zurechtkommen ohne ihn? Warum hat er uns nichts gesagt? «
    » Weil er weiß, dass eure Eltern das mit allen Mitteln zu verhindern suchen, deshalb. « Sie seufzte zittrig. » Schöner Mist, nicht wahr? Männer ziehen einfach in den Krieg, halten das für ihre Pflicht, und ich … Verdammt, ich habe solche Angst, ihn zu verlieren, nachdem wir uns gerade erst gefunden haben. « Erneut rannen Tränen aus ihren Augen und liefen die Wangen hinunter.
    » Lass mich mit ihm reden. «
    » Tu es bitte nicht. Er wird wütend, wenn er erfährt, dass ich es dir erzählt habe. «
    » Dann musst du ihn davon abhalten. «
    » Glaubst du denn, ich hätte es nicht versucht? «
    » Das ist alles so schrecklich. Warum müssen Länder einander bekämpfen? «
    Wir saßen eine Weile schweigend da.
    » O Gott, so spät schon? « Sie blickte auf die kleine Uhr, die falsch herum wie ein Orden an ihrer Brusttasche baumelte. » Ich muss los. Meine Eltern fragen sich bestimmt, wo ich bleibe. Wenn John heimkommt, erwähne bitte meinen Besuch nur ganz beiläufig. Denk dran, du weißt von nichts – weder von dem einen noch von dem anderen. «
    » Treffen wir uns morgen, oder wirst du etwas mit John unternehmen? « Ich klang wie ein eifersüchtiger Liebhaber, und Vera merkte es.
    » Ach, Lily, sei nicht albern. Das hat doch mit unserer Freundschaft nichts zu tun. « Sie sprang auf und klopfte sich den Staub vom Rock. » Tut mir leid, dass ich dir das alles so überfallartig erzählt habe, aber ich musste es mir von der Seele reden. Und für mich bist du der einzige Mensch, dem ich alles anvertrauen kann. «
    Ich sah zu, wie die Sonne hinter den Pappeln unterging, und lauschte dem Abendchor der Vögel, die lautstark ihre Territorien verteidigten. Ein absurder Gedanke ging mir durch den Kopf – wenn Vögel ihre Differenzen durch Gesang beilegen konnten, warum konnten Länder dann nicht ebenfalls einen friedlichen Weg finden? Warum mussten sie zu den Waffen greifen und großes Unglück heraufbeschwören?
    Und John, der sich eigentlich immer nur Frieden und Harmonie wünschte, machte mit. Kapierte er nicht, dass sein unsinniges Pflichtgefühl ihn umbringen konnte? Ich musste versuchen, ihn davon abzubringen. Doch welche Chance hatte ich, wenn die Frau, die er liebte, bei ihm gegen eine Wand gelaufen war? Er wirkte seit geraumer Zeit bereits so kompromisslos, das war mir aufgefallen, wetterte gegen Chamberlains Beschwichtigungspolitik und vertrat gegen Vater offen die Meinung, nur der Einsatz massiver Gewalt vermöge die Nazis noch aufzuhalten. Mit anderen Worten: John hielt eine militärische Intervention für geboten. Angesichts dieser Entschlossenheit würde es wenig bringen, mit ihm zu diskutieren. Hinzu kam, dass ich Vera nicht verraten durfte. Mit schwerem Herzen ging ich ins Haus zurück.
    Niemand war zu sehen. Auf dem Küchentisch wartete auf mich das mit einem Tuch abgedeckte Abendessen. Am Wasserkrug lehnte ein Zettel. Bin ins Bett gegangen. Kopfschmerzen. Tut mir leid. Mutter. Mir war ohnehin der Appetit vergangen. Ich ging hinüber in den Salon, zog mir einen Sessel ans Fenster, goss mir einen weiteren großen Gin Tonic ein und saß da mit dem Kopf voller trübseliger Gedanken, während die Abenddämmerung endgültig herabsank und das Zimmer in dunkle Schatten tauchte.
    Am nächsten Tag gingen Vera und ich in Westbury Make-up kaufen, um uns auf andere Gedanken zu bringen. Wir schlossen einen Pakt, nicht über das Thema Krieg zu sprechen. Bei Tee und Kuchen in Mary’s Café erzählte ich ihr von meinem Date mit Robbie.
    » Übers Wochenende wegfliegen, wie romantisch « , seufzte Vera. » Klingt wie ein Hollywoodfilm.

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