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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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bald zur Arbeit kommen würde. Bestimmt schaute er heute zu mir hoch.
    Doch als die drei auf den Hof bogen, erkannte ich gleich, dass etwas nicht stimmte. Stumm schlurften sie über den Kies mit gesenkten Köpfen und hängenden Schultern. Stefans Gesicht war abgespannt und blass, er sah fast wieder so aus wie der ernste, verunsicherte Junge, den ich mit John aus dem Camp in Essex geholt hatte. Unter seinem Arm steckte eine zusammengefaltete Zeitung. Was war los? Neue Probleme oder waren sie gestern bloß lange aufgeblieben und jetzt einfach müde?
    Kurz vor der Frühstückspause erschien Gwen und zog die Tür hinter sich zu.
    » Stefan ist heute nicht er selbst. Weißt du, ob irgendetwas passiert ist? «
    Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus, und ich musste mir Mühe geben, ein verräterisches Grinsen zu unterdrücken. O ja, etwas Bedeutsames war passiert mit uns beiden, aber darauf wollte Gwen kaum hinaus.
    » Was meinst du? «
    » Er hat schon fünf Fehler gemacht. Was bedeutet, dass wir von den gerade mal zwanzig Metern, die er gewebt hat, drei aussortieren müssen. Er kommt mir vor, als träume er. «
    Ich verstand ihn nur zu gut, denn mir ging es ähnlich. Wie sollte man sich konzentrieren, wenn Hitzewellen urplötzlich verborgene Stellen meines Körpers vibrieren ließen. » Vielleicht hatte er eine schlechte Nacht « , sagte ich. » Seit dieser elenden Schmiererei macht er sich ziemliche Sorgen. Sie haben es im Augenblick wirklich schwer, die drei. «
    Sie unterbrach mich unwirsch. » Glaubst du, ich würde dich stören, weil einer schlecht geschlafen hat? Nein, ich bin sicher, dass mehr dahintersteckt, weiß aber nicht, was. «
    Irgendetwas an ihrer beharrlichen, übertrieben besorgten Art irritierte mich. Wollte Gwen mich aushorchen? Oder versuchte sie womöglich, die Gerüchteküche wieder anzuheizen?
    Ich zwang mich zu einem Lächeln. » Okay, ich werde ihn beim Mittagessen fragen, ob ihn irgendetwas beunruhigt. «
    » Du würdest es mir doch sagen, oder, falls da etwas ist, das ich wissen müsste? «
    » Natürlich « , log ich und komplimentierte sie so schnell wie möglich aus meinem Büro.
    Als die Sirene zur Mittagspause erklang, ging ich gleich in die Kantine, ohne die drei zu entdecken, und auch in der Nachmittagspause waren sie nirgends zu sehen. Weder drinnen noch draußen.
    Auf dem Weg zurück ins Büro erspähte ich sie endlich, wie sie ins Gespräch vertieft über die Auwiesen zur Fabrik zurückkehrten. Erleichtert seufzte ich auf – alles in Ordnung, sie hatten lediglich einen kleinen Spaziergang bei dem schönen Wetter gemacht.
    Am Ende der Tagesschicht schaute ich wieder aus meinem Fenster, aber die drei tauchten nicht auf. Vermutlich waren sie zur Seitentür nach draußen und durch das hintere Tor nach Hause gegangen. So langsam fand ich das Ganze doch ausgesprochen rätselhaft, und ich beschloss, später beim Cottage vorbeizugehen, um nach dem Rechten zu schauen. Und um über alles zu reden, was ihn bedrückte. Und vielleicht hatten wir ja sogar Glück, dass Kurt und Walter auch heute ausgingen. Schon bei dem Gedanken durchliefen mich erregende Schauer, und ich wurde ganz zittrig vor Verlangen, wenn ich an seine Berührungen dachte, seine tastenden Versuche, meinen Körper zu erkunden. Und ich musste mich sehr zurückhalten, meine Hand nicht dorthin wandern zu lassen, wo unsere Körper endgültig miteinander verschmolzen waren, zu jenem verborgenen, dunklen, intimen Ort.
    Als ich nach Hause kam, fand ich meine Eltern zusammen am Tisch in der Küche sitzen. Vor ihnen lag die neueste Ausgabe der Times. Die Schlagzeile auf der ersten Seite verkündete eine weitere Hiobsbotschaft: Frankreich kapituliert.
    » Schreckliche Neuigkeiten, Liebes « , sagte Vater. » Jetzt stehen wir ganz alleine da. «
    Als ich mich über ihre Schultern beugte, um Genaueres zu erfahren, fiel mein Blick auf eine kleinere Schlagzeile ein Stückchen weiter unten. Große Polizeirazzia – Internierung weiterer feindlicher Ausländer. Ich brauchte eine Weile, bis ich die Tragweite der Meldung begriff.
    » O nein, die Jungs « , stieß ich hervor und rannte los.
    Als ich beim Cottage ankam, wartete dort bereits ein dunkelblauer Transporter, und zwei große Männer standen raumgreifend im Wohnzimmer: Constable Kilby und ein Mann in Zivil mit einem schmalen Gesicht und Augen wie ein Wiesel.
    » Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Lily Verner « , keuchte ich, völlig außer Atem von meinem Spurt. » Wo sind die

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