Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
haben, dass dieser Ort Ihnen guttut. Begleiten Sie uns heute Abend in die Messe.« Isaura öffnete den Mund, doch die Nonne hob die Hand. »Ja, ich ahne, dass Sie lange nicht mehr in der Messe waren, aber das macht nichts. Sie dürfen zweifeln. Sie dürfen Fragen stellen. Versuchen Sie einfach, ein wenig loszulassen und all Ihre Sinne zu öffnen. In Santa Clara kann man zur Ruhe kommen und seinen Frieden finden.«
»Wirklich?«, begehrte Isaura auf. »Haben Sie den Ihren denn hier gefunden?«
Die Schwester wehrte sich nicht gegen die zudringliche Frage. Sie überlegte.
»Ja, so ist es«, sagte sie schließlich. »Was mir in Brixen fehlte, habe ich hier. An diesem Ort kann ich mit meiner Aufgabe zu meiner inneren Ruhe finden.«
Sie sah Isaura offen an, und das Verständnis, ja, das Mitleid in ihrem Blick erstaunte Isaura. Sie merkte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Rasch wandte sie den Blick ab. Es gab keinen Grund zu weinen! Das Gewitter hatte sie lediglich erschreckt und ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Kein Grund, sich gleich so aus der Bahn werfen zu lassen!
Isaura erhob sich und reichte Schwester Maria Anna die Hand.
»Ich danke Ihnen für alles und wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie recht haben. Dass Sie Ihren Platz gefunden haben, an dem Sie glücklich sein können. Leben Sie wohl.«
Die Nonne ergriff die ihre mit beiden Händen. »Ich sage Auf Wiedersehen, denn ich weiß, dass wir nicht für immer Abschied nehmen.«
Sie begleitete Isaura noch bis zu ihrem Wagen und sah ihr nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war.
Kapitel 20
Saragossa, 1469
Jimena war erschöpft. Nicht nur, dass ihr Geist gegen die Ablehnung der Männer ankämpfen und sie stetig auf der Hut vor ihnen sein musste – die körperliche Anstrengung des tagelangen Ritts hatte sie ausgelaugt. Es kam ihr so vor, als würden die Männer absichtlich die größten Strapazen wählen, d ie schlechtesten Wege und die unbequemsten Unterkünfte in kleinen, ärmlichen Klöstern am Wegesrand, deren Lager kaum mehr Erholung schenkte als der harte Boden draußen. Ihr Mahl bestand meist nur aus karger Suppe mit Lauch und Zwiebeln und saurem, mit Wasser verdünntem Wein.
Sie reisten zu viert: Gutierre de Cárdenas, Gonzalez de Chacón und Alonso de Palencia waren Jimenas Begleiter. Sie hatte das Gefühl, je härter die Reise wurde, desto aufmerksamer wurden die Blicke, die die Männer ihr zuwarfen. Warteten sie darauf, dass sie sich beklagte oder gar zusammenbrach, um dann zu triumphieren und sagen zu können, sie seien ja schon immer dagegen gewesen, ein Weib auf solch eine Mission mitzunehmen? Diesen Sieg würde sie ihnen nicht gönnen! Mit zunehmender Müdigkeit war auch ihr Trotz gewachsen, der sie noch immer aufrecht hielt. Doch nicht nur ihr Trotz, auch ihr Stolz darauf, dass die Männer nicht gegen ihren Willen ankamen und sie trotz der Abneigung gegen ihren Plan mit nach Aragón nahmen.
Die drei Begleiter gehörten zum kastilischen Adel, nicht jedoch zu den Granden, deren riesige Ländereien und Reichtum ihnen die Macht gab, eigene Politik mit oder gegen einen König zu betreiben. Don Gutierre war ein Mann von beeindruckender Größe mit dichten dunklen Augenbrauen, einem fast schon zu üppigen Bart und langem schwarzem Haupthaar. An sich mochte Jimena ihn ganz gern. Wenn sie sich in der Obhut eines Mannes sicher fühlen wollte, dann würde sie jemanden wählen, der das Schwert so zu führen wusste wie Don Gutierre.
Don Alonso de Palencia war das ganze Gegenteil von ihm, wobei auch er durchaus mit dem Schwert zu kämpfen gelernt hatte. Sein Haar und sein Bart waren fast blond, die Augen blau. Er war klein und drahtig und wirkte sicher jünger, als er war. Jimena konnte sich vorstellen, dass er unter normalen Umständen ein angenehmer Begleiter war, mit dem man interessant plaudern konnte. In dieser angespannten Situation jedoch war er eher ernst und wortkarg.
Gonzalez de Chacón war der Älteste unter ihnen. Er hatte die fünfzig bereits überschritten, und sein Haar begann sich grau zu verfärben. Er war mittelgroß mit braunen Augen und einem freundlichen Lächeln. Don Gonzalez gehörte sicher nicht zu den großen Kämpfern. Er war eher ein Mann der Zahlen und des Geldes und hatte dem Santiago-Orden viele Jahre als Komtur der Ordensniederlassung in Montiel gedient. Er war ein Vertrauter von Don Álvaro de Luna gewesen, dem Günstling Juans II., um dessen Kopf fast ein Bürgerkrieg ausgebrochen war. Während Don Álvaro
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