Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Oberin möchte sich meine Deutsch- und Englischkenntnisse zunutze machen.«
»Dann haben Sie jetzt Ihren Platz gefunden?«
Die Nonne überlegte. »Vielleicht. Zumindest im Augenblick fühle ich mich dieser inneren Ruhe näher.«
Sie schwiegen beide, während Isaura ihren Teller leerte und einen Becher Wein trank.
»Sind Sie fertig?«
Isaura nickte und bedankte sich noch einmal.
»Gut, dann zeige ich Ihnen jetzt die Kirche und die maurischen Bäder.«
»Was für eine passende Kombination«, murmelte Isaura, die ihren leeren Teller wegschob und sich erhob.
Die Schwester führte Isaura über eine Terrasse, von der man einen weiten Blick über den Fluss hatte, zu den Bädern, die Isaura gebührend bewunderte. Heutzutage befanden sie sich in einem separaten Gebäude östlich des Klosters. Ursprünglich waren sie in die Palastgebäude integriert gewesen.
»Das war aber ein unerhörter Luxus für die Nonnen früher, als man den Palast in ein Kloster umwandelte«, meinte Isaura bei dem Gedanken an das gerade einmal lauwarme Wasser in der engen Dusche, das auch nicht gerade üppig floss. Sie schlenderte zwischen den Säulen umher und bewunderte die Deckenmalereien.
»Aber nein«, wehrte die Nonne mit einem Lachen ab. »Diese Räume wurden für viele verschiedene Zwecke genutzt, aber gebadet haben die Nonnen hier ganz sicher nicht. Eine Zeit lang wurden hier Kerzen hergestellt.«
»Was für eine Verschwendung«, seufzte sie beim Anblick des prächtigen Al-bayt al-wastaní oder des Tepidariums , eines Wärmeraums mit beheiztem Boden und erwärmten Bänken, in dem man es sich bei solchem Wetter bei knapp vierzig Grad wohlergehen lassen konnte.
»Ja, vielleicht«, gab die Nonne zu. »Doch das hätte wohl nicht mit den Regeln der heiligen Klara im Einklang gestanden.«
»Wohl kaum«, schmunzelte Isaura, »wobei man ja von vielen Klöstern hört, dass man es mit den Regeln über die Jahrhunderte hinweg oft nicht sehr ernst genommen hat. Ja, ich glaube, dass es sich viele in ihren Klöstern geradezu aristokratisch gut gehen ließen.«
Die junge Schwester nickte. »Ja, das glaube ich auch. Wo es Regeln gibt, gibt es auch die, die dagegen verstoßen. Das liegt in der menschlichen Natur vielleicht genauso wie die Verlockung der Sünde, sei es nun das andere Geschlecht, Essen und Wein oder auch der Müßiggang. Es hat keiner behauptet, dass es leicht wäre, dem Weg unseres Herrn zu folgen.«
Isaura brummte nur etwas Undeutliches. Sie war zwar getauft worden und hatte als Kind an der Erstkommunion und der Firmung teilgenommen, doch ihre Eltern waren nicht sehr religiös und nur selten zur Kirche gegangen. Auch wenn sie sich nicht als Ungläubige oder Atheistin bezeichnet hätte, so gehörte doch die Religion nicht zu ihrem Leben.
Sie gingen über die Terrasse am Langschiff der Kirche ent lang zurück. Das Unwetter hatte sich verzogen, und nun blitzte die Sonne zwischen den rasch dahinjagenden Wolken hindurch und ließ die Wassertropfen auf dem nassen Gras am Ufer wie Diamanten blitzen. Isaura folgte der Schwester in die Kirche. Sie hätte sich nicht gerade als Fan von Kirchenbesichtigungen bezeichnet, doch die hölzerne Decke mit ihren Mudéjarschnitzereien war beeindruckend. Die gesamte Wirkung war so völlig anders als die in den von Barockschmuck überladenen Kirchen Bayerns. Dennoch hörte Isaura den Erklärungen nur mit einem Ohr zu und ließ sich von ihren eigenen Gedanken davontreiben. Und nicht nur ihre Gedanken machten sich eigenständig auf die Reise. Auch ihre Beine schienen ein Eigenleben zu entwickeln und wandten sich von ihrer Führerin weg, als diese gerade schwieg. Sie drängten zu der größten Kapelle an der Südseite des Kirchenschiffs, in die man durch zwei reich verzierte gotische Bogen eintreten konnte, wenn man das Gitter nicht verschlossen vorfand, das vermutlich wesentlich später hinzugefügt worden war. Ein Drängen wallte in Wogen in ihr auf und ab. Erst heiß, dann eisig kalt. Hatte sie sich bei dem Gewitter eine Erkältung zugezogen? Konnte man dies so schnell spüren?
»Das ist die Saldañakapelle, eine Begräbniskapelle der Familie Saldaña, die unter Juan II. Haupthofmeister war«, erklärte Maria Anna.
»Juan II.? War das nicht der Vater von Isabella der Katholischen?«, erkundigte sich Isaura, die sich an ihre Lektüre der Caminata erinnerte.
Die Nonne nickte. »Ja, genau. Er war der Vater von König Enrique VI., seinem Erstgeborenen, der sein direkter Nachfolger wurde, und von dessen
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