Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Orient, mit denen uns einst ein maurischer Geschichtenerzähler unterhalten hat. Ach, so lange ist es schon her. In Arévalo war es, im düsteren Palast von Isabels Mutter. Vier Mädchen waren wir, die Abend für Abend gespannt an seinen Lippen hingen. Dies erinnert mich an die Geschichte von Kalif Harun ar-Raschid und seinem Wesir Djafar, die als einfache Männer verkleidet nachts durch die Straßen von Bagdad streiften.«
Der Prinz lächelte zu ihr hoch, denn sie saß auf einem knochigen alten Pferd und er auf einem Maultier.
»Dann wollen wir hoffen, dass auch diese Geschichte wie die alten Märchen gut ausgeht.«
Jimena wiegte den Kopf hin und her. »Die Märchen der Mauren enden nicht immer mit dem Sieg des Guten. Sie sind meist sehr blutig, und oft verlieren gerade die Figuren, die man besonders ins Herz geschlossen hat, auf grausame Weise ihr Leben.«
»Und Ihr habt diese Geschichten dennoch gemocht?«
Jimena nickte. »Ja, sehr, denn sie handelten auch immer von Heldenmut und Treue und von unsterblicher Liebe bis in den Tod. Eben von den Tugenden, die man im wahren Leben immer seltener findet«, fügte sie ein wenig schärfer hinzu.
»Das ist wahr«, stimmte ihr der Königssohn zu. »Und, nehmt Ihr Euch diese tugendhaften Helden zum Vorbild, denen es nachzueifern gilt?«
»Ja, Majestät, das tue ich!«, sagte sie fest.
»Pedro«, korrigierte er sie. »Solange wir auf dieser Reise sind, bin ich Pedro, der Eseltreiber und Stallbursche.«
»Pedro«, wiederholte sie und zwinkerte ihm zu. »Wirst du dann heute Abend auch brav unsere Pferde versorgen und in den Stall bringen?«
»Aber ja«, nickte er und bemühte sich um eine ernste Miene. »Ich werde Euer Ross striegeln, bis sein Fell glänzt und der alte Bock wie ein Pferd aussieht!«
Jimena lachte. »Oh nein, streng dich nicht zu sehr an. Wir sind arme Händler und können uns keine wertvollen Tiere leisten.«
Fernando schnaubte durch die Nase. »Nur keine Angst, Doña Jimena. Da könnte ich die ganze Nacht bürsten. Es würde dennoch niemand auf den Gedanken kommen, diese traurige Gestalt von einem Ross für ein wertvolles Pferd zu halten.«
Die Sonne sank, und Jimena musste sich eingestehen, dass sie erleichtert war, als Don Gutierre ein einfaches Gasthaus am Wegesrand ansteuerte. Sie ritten in den Hof, in dem schon andere Reisende sich den Straßenstaub von den Kleidern klopften. Jimena ließ sich aus dem Sattel gleiten, noch ehe einer der Männer ihr seine Hilfe anbieten konnte. Einfache Händlertöchter brauchten so etwas nicht. Mit einem Schmunzeln ließ sie ihren Blick über die Männer aus kastilischem und aragonischem Adel schweifen, die sich in den einfachen Gewändern armer Handelsreisender sicher nicht sehr wohl fühlten. Am schlechtesten hatte es jedoch den Prinzen getroffen, der diese und jede weitere Nacht ihrer Reise nicht einmal auf ein Bett hoffen durfte.
»Pedro, steh hier nicht rum und halte Maulaffen feil. Bring die Pferde in den Stall«, erinnerte Don Gutierre ihn an seine ungewohnten Pflichten.
»Ja, natürlich«, rief der Prinz und senkte den Kopf. Als er zu Jimena trat und ihr die Zügel aus der Hand nahm, konnte sie sehen, dass die scheinbar demütige Haltung ein kaum verhohlenes Grinsen verbarg. Für Fernando schien diese Reise mit ihrer Scharade ein rechter Spaß zu sein. Jimena konnte nur hoffen, dass es für ihn und alle anderen auch so bleiben würde.
Sie bedankte sich leise und folgte dann den Männern in den Gastraum, wo sie sich an einer kräftigen Mahlzeit gütlich taten und Wein tranken, während der Prinz draußen im Stall die Pferde und Maultiere versorgte.
Kapitel 21
Aragón und Kastilien, 1469
Sie kamen gut voran. Ihre Tarnung funktionierte, und soweit es Jimena einschätzen konnte, schöpfte niemand Verdacht. Obgleich sie nun bereits den dritten Tag unterwegs waren, verließ den Prinzen seine gute Laune nicht, und Jimena genoss es, wenn er sein Maultier neben ihr Pferd trieb und sich mit ihr unterhielt. Meist erzählte er von seiner Heimat und war nicht selten erstaunt, wie tiefsinnig Jimenas Fragen waren, die sich für alles zu interessieren schien. Nicht nur für Weiberdinge, wie Fernando es ausdrückte.
»Das ist Politik«, wehrte er ab und zu ab, doch Jimena bohrte weiter, bis er ihr erklärte, warum man dies oder jenes entschieden hatte oder warum man die Zustände in Katalonien nicht mit denen in Aragón oder gar in Sizilien vergleichen konnte, zu dessen König sein Vater ihn bereits ernannt
Weitere Kostenlose Bücher