Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Schoß zurückkehrt.«
Darüber wollte Jimena nicht nachdenken. Der Verdacht war ihr auch schon gekommen, und sie ertappte sich bei jedem Brief, den ein eiliger Bote brachte, dabei, sich immer mehr vor dieser Nachricht zu fürchten.
»Und was, wenn es ein Mädchen wird? Habt ihr euch auch darüber Gedanken gemacht?«, sagte sie nach einer Weile.
Ramón hob die Schultern. »Dann würde das Ganze natürlich nicht funktionieren, und man müsste nach einer anderen Lösung suchen.«
»Gut, dann überlegt euch schon einmal eine andere Lösung!«, rief sie, sprang auf und eilte mit gerafften Röcken den Weg zurück, den sie gekommen war. Ramón folgte ihr. Auch er war zornig, das konnte sie spüren, doch auch irgendwie beunruhigt.
»Es wird ein Mädchen?«, rief er. »Bist du dir ganz sicher? Hast du es gesehen?«
Doch Jimena schwieg. Erst als er sie unter dem Tor einholte und hart nach ihrer Schulter fasste, fuhr sie herum und blitzte ihn wütend an.
»Es kommt vor, dass Frauen Töchter gebären«, fauchte sie. »Selbst Königinnen!«
»Sie ist aber keine Königin«, konterte Ramón ebenso zornig. »Sie ist nur eine einfache kastilische Infantin!«
»Denke, was du willst«, rief Jimena so verächtlich wie möglich. »Der Lauf der Geschichte wird zeigen, wer von uns recht behält!«
Und damit ließ sie ihn stehen. Sie rannte in ihr Gemach hinauf, wo Teresa sie mit fragendem Blick empfing. Die jüngere Cousine zog sie in ihre Arme und streichelte ihr Haar, während Jimena bittere Tränen weinte. Sie fürchtete, dass sie Ramón endgültig verloren hatte.
Natürlich waren Isabel und Fernando nicht auf den Vorschlag des Königs eingegangen, und am 2. Oktober brachte Isabel eine gesunde Tochter zur Welt. Jimena und Teresa waren an ihrer Seite, während sie tapfer kämpfte, bis sie erschöpft, aber mit Tränen der Erleichterung das Kind in den Armen hielt. Sie gab ihrer Tochter ihren eigenen Namen und ließ sie sogleich als Infantin von Kastilien und Aragón ausrufen, was eine Aussöhnung mit ihrem Bruder Enrique nicht gerade wahrscheinlicher machte. Dennoch triumphierte der König. Er dachte, er müsse nur noch ein wenig auf Zeit spielen, und nicht nur ihm kam dieser Gedanke!
Isabel blieb unnachgiebig. Sie wiegte ihre Tochter in den Armen und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie einst Königin von Kastilien werden würde – falls sie keinen Bruder bekäme. Die Krone des Königreichs ihres Vaters würde sie allerdings nie erlangen können, denn Infantinnen waren in Aragón von der Thronfolge ausgeschlossen.
Erzbischof Carrillo war nun häufiger zu Gast und trug Isabel und Fernando vor, was sie seiner Meinung nach tun mussten. Er diktierte ihnen Briefe, die sie an verschiedene Granden schreiben sollten, bis Fernando der Kragen platzte. Selbst wenn Jimena und Teresa, die ein Stück abseits mit ihren Handarbeiten saßen, vorgehabt hätten, nicht zu lauschen, hätten sie seine zornigen Worte unmöglich überhören können.
»Ich habe es satt«, schrie er, »gründlich satt! Ich höre mir keinen Tag länger an, wie viel mehr politische Erfahrung dieser Greis hier im Gegensatz zu mir haben will.«
Jimena zuckte zusammen und sah zum Tisch hinüber, wo Fernando aufgesprungen war und mit in die Hüften gestemmten Händen Carrillo anstarrte.
»Ich tue das, was ich mir vorgenommen habe, und auch der Erzbischof von Toledo wird mich nicht davon abhalten!«
Er wandte sich abrupt ab und stürmte hinaus. Isabel und Carrillo sahen ihm nach. Langsam wandten sie sich wieder einander zu. Beider Mienen waren wie versteinert.
»Soll ich so mit mir reden lassen? Ist das etwa auch Eure Meinung, Hoheit, nach alldem, was ich für Euch getan habe?«
Jimena hielt den Atem an. Sie konnte Isabels Anspannung fühlen. Am liebsten hätte sie ihrem Gatten in gleichem Ton beigepflichtet. Jimena wusste, wie sehr sie sich von Carrillo gegängelt fühlte, doch ihr war ebenfalls klar, dass sie sich einen endgültigen Bruch mit ihm nicht leisten konnte. Daher holte sie zuerst tief Luft und begann in gemäßigtem Tonfall zu sprechen. Sie erkannte seine Verdienste an, ließ aber auch durchblicken, dass der kastilische Thron ihr zustehe und sie als Königin einst die Entscheidungen treffen würde.
Das war nicht das, was der Erzbischof zu hören wünschte. Er sah sich sicher schon als eine Art graue Eminenz, ein Königinvater, der für die junge Isabel die Fäden zog, doch vielleicht musste er jetzt erkennen, dass sie aus anderem Holz geschnitzt war als
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