Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
König. Er selbst will das Gewicht auf der Waage sein, das er mal hier und mal dort einsetzen kann. Seine Macht und sein Einfluss würden schrumpfen.«
Und noch eine Nachricht gab den Gejagten Auftrieb. Zu Jimenas Erstaunen war es ihre Tante Dominga, die als Erste die Nachricht brachte.
»Der Herzog von Berry ist tot?«, frohlockte Fernando. »Wie kommt es, dass wir noch nichts davon gehört haben? Nun, egal – wenn das wahr ist, dann haben sich die Bündnispläne des Königs mit Frankreich vorerst erledigt.« Er strahlte über das ganze Gesicht, zog Isabel an sich und küsste sie überschwänglich. Isabel lief rot an und befreite sich aus seiner Umarmung. Noch immer war sie selbst in Anwesenheit ihrer Freunde und Verbündeten sehr zurückhaltend, was ihre Gefühle betraf, und vermied es vor den Augen anderer, ihren Mann anders als höflich zu behandeln.
Dominga stimmte Fernando zu. »Ja, so ist es. Frankreich hat kein Interesse, sich in Kastiliens Streitereien einzumischen, und auch die Erbschaftsfrage sollte nun wieder offen gestellt werden.«
So war die Stimmung auf dem Landgut des Erzbischofs die nächsten Tage über heiterer als sonst, und Isabel ließ es sich nicht nehmen, einen fahrenden Lautenspieler einzuladen, der sie am Abend mit seiner Musik unterhielt. Selbst Dominga schloss sich ihnen an und wirkte so gelöst, wie Jimena sie kaum in Erinnerung hatte.
Zuerst machte sich Jimena keine weiteren Gedanken über ihre Tante, doch als vier Tage später ein Bote mit derselben Nachricht kam, keimte Misstrauen in ihr auf. Sie passte den Mann ab und versuchte ein paar Details aus ihm herauszubekommen. Mit zunehmendem Entsetzen hörte sie zu und machte sich dann sofort auf den Weg, um mit ihrer Tante zu sprechen. Sie fand sie in der kleinen Kammer, die man ihr als Gemach zugewiesen hatte.
Jimena trat ein und schloss die Tür mit einem Knall hinter sich.
»Wie ich sehe, bist du beim Packen«, sagte sie, als sie das Bündel und die Kleider auf dem Bett sah.
»Ja, meine Mission hier ist beendet. Ich kehre nach Arévalo zurück.«
»Weißt du, wer vor kaum einer Stunde angekommen ist?«
»Nein«, gab Dominga gelassen zurück, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Ein Bote, der den Tod des Herzogs von Berry vermeldete!«
Nun hielt Dominga inne und sah auf. »Ach ja? Das war ja nun keine Neuigkeit mehr.«
»Das nicht«, stimmte ihr Jimena zu, »aber dass er erst vor fünf Tagen starb, hat mich dann doch überrascht.« Ihre Stimme gewann an Schärfe. »Wann hast du uns die Nachricht gebracht? Es ist schon ein paar Tage her, und wenn ich genau rechne, dann frage ich mich: War er denn zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon kalt?«
Dominga sah ihre Nichte kühl an. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich wollte euch die Neuigkeit eben schnell überbringen. Was tut das zur Sache?«
»Du hast es schon wieder getan! In voller Absicht und ohne Skrupel. Wie kannst du nur?«
Dominga stimmte ihr weder zu noch stritt sie den Vorwurf ab. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Bün del und faltete ein Hemd zusammen. Dann sah sie auf und fixierte Jimena mit dem durchdringenden Blick, der bis in die Seele hinabzureichen schien.
»Wie alt bist du jetzt? Einundzwanzig? Man sollte meinen, dass du inzwischen gelernt hast, zu sehen und zu begreifen, dass man das tun muss, was richtig und was notwendig ist.«
»Alles? Auch kaltblütig morden?«, widersprach Jimena hitzig.
»Ich habe kein Blut an meinen Händen«, gab Dominga zurück.
»Nicht an den Händen, doch dein Geist und deine Seele sind blutbefleckt. Du hast mehr als nur ein Leben auf dem Gewissen. Ich will gar nicht wissen, wie viele es sind! Und sage nun nicht, dass auch ich mich schuldig gemacht habe. Ja, es ist mir passiert, doch es wird nicht wieder vorkommen. Du hast mich gelehrt, meine Kräfte zu beherrschen.«
Nun blickte Dominga verächtlich. Oder nur enttäuscht?
»Ja, ich habe dich die großen Geheimnisse gelehrt und wie du deine Gabe einsetzen kannst, aber was machst du? Du versteckst dich hier, lässt dich wie eine Strauchdiebin von einem Versteck zum anderen jagen, statt selbst einzugreifen und dafür zu sorgen, dass die Geschichte endlich ihren rechten Lauf nimmt!«
Jimena starrte sie sprachlos an. »Was verlangst du von mir? Soll ich den König ermorden, um Isabel auf den Thron zu helfen?«
Natürlich hatte sie diese Frage nicht ernst gemeint. Sie wollte ihrer Tante lediglich vor Augen führen, wie absurd die ganze Unterhaltung war, doch
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