Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
drehen. Sie wurde durch die Luft gewirbelt und wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war. Isaura spürte einen Schlag und noch mehr Schmerz. Dann wurde alles dunkel um sie und ganz still.
Kapitel 26
Alcalá de Henares, 1472
Die schlechten Nachrichten rissen nicht ab, während die Monate verstrichen und Isabel und Fernando immer wieder gezwungen waren, von einem Ort zum anderen zu fliehen. Schließlich landeten sie wieder auf einem von Carrillos Landgütern in Alcalá de Henares. Es kam Jimena vor, als würden die Jäger den Kreis immer enger ziehen und die Schlingen dichter auslegen, sodass sie sicher sein konnten, früher oder später würde ihr Wild sich darin verfangen und zu Fall gebracht werden. Auch die wichtige Marktstadt Medina del Campo kehrte zur Fahne des Königs zurück, und Enrique belohnte die Stadt, indem er ein riesiges Spektakel zu Ehren des Herzogs von Berry und der ganzen französischen Delegation ausrichten ließ, die den eigenwilligen Bruder des französischen Königs nach Spanien begleitete. Enrique hatte den Herzog von Berry als Bräutigam für seine Tochter Juana auserwählt.
Als Isabel davon hörte, schäumte sie vor Zorn und wollte sich nicht beruhigen lassen. Nicht nur, dass Enrique sich mit den verhassten Franzosen einließ, mit denen man noch immer um die Vorherrschaft in Navarra stritt, nein, er setzte Juana wieder als Thronerbin von Kastilien ein – was vermutlich eine Bedingung Ludwig XI. für diese Verbindung gewesen war. Enrique schwor bei dem rauschenden Fest in Medina del Campo, für das er keine Kosten und Mühen gescheut hatte, dass Juana seine Tochter sei, und nannte sie »Prinzessin und erstgeborene Erbin dieses Königreichs«. Außerdem bestand er auf einen sofortigen symbolischen Vollzug der Ehe per procurationem , durch eine Stellvertreterhochzeit, bei welcher der Graf von Boulogne anstelle der Braut das Jawort sprach – der Herzog von Berry war zwar bereits vierundzwanzig Jahre alt, die Braut jedoch erst acht. Von Kardinal Albi herbeigerufen, leisteten die Granden des Landes Erbprinzessin Juana ihren Treueschwur. Ja, Enrique erreichte sogar, dass der französische König einem Waffenbündnis zustimmte für den Fall, dass jemand versuchte, Juanas Thronansprüche zu gefährden. Isabel und Fernando schienen vernichtet.
Und auch der Bischofsstuhl von Carrillo, ihrem einzigen mächtigen Unterstützer, begann zu wackeln. König Enrique war erbost darüber, dass der Kirchenmann seiner aufmüpfigen Halbschwester und ihrem Gemahl noch immer Unterschlupf gewährte, und setzte alles daran, Carrillo seines Postens als Erzbischof von Toledo und Primas von Kastilien zu entheben. Mit einer Klage in Rom hoffte er, Carrillo vor ein kirchliches Gericht stellen zu können, doch dieses Mal nahte Rettung von völlig unerwarteter Seite.
»Was?«, rief Jimena und starrte Isabel verdattert an, als sie ihr die Neuigkeit berichtete.
Isabel lag bleich und abgemagert in ihrem Bett und erholte sich von der Geburt ihres zweiten Kindes, das tot zur Welt gekommen war. Die ständige Anspannung, die Furcht und die Ungewissheit hatten ihren Tribut gefordert. Wenigstens entwickelte sich die Erstgeborene Isabel prächtig und war ihrer jungen Mutter ein Trost. Das Kind ließ sie zumindest ab und zu die Sorgen um die große Politik und das Schicksal des Landes vergessen. Allerdings nicht in diesem Augenblick, da ein Bote endlich einmal eine gute Nachricht gebracht hatte.
»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte Jimena noch einmal nach. »Der König wollte Carrillo absetzen lassen, und ausgerechnet dessen verhasster Neffe, der Marquis und Großmeister Juan Pacheco de Villena, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit die Klage im Vatikan fallen gelassen wird?«
Isabel nickte. »Ja. Enrique tobt, doch Villena scheint das nicht zu beeindrucken.«
»Ja, aber warum?«
Isabel hob ein wenig unsicher die Schultern. »Er ist immerhin sein Onkel, und selbst wenn sie sich erbittert bekämpft haben, ist das ein machtvoller Posten in der Familie.«
Jimena war noch nicht ganz überzeugt. »Hat er Carrillo nicht eiskalt abblitzen lassen, als der einen Versuch wagen wollte, Enrique mit dir zu versöhnen?«
Isabel nickte. »Ja, das schon, aber bedenke: Wenn Enrique Carrillo absetzt, wer wird dann dessen Nachfolger? Ein Erzbischof von Toledo, der den König vorbehaltlos unterstützt, wäre ein Machtfaktor, der dem Marquis nicht schmecken kann.«
Jimena nickte langsam. »Ja, Villena will keinen starken
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