Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
schwieg. Grübelte sie nicht auch über den Vorfall und seine Folgen, oder wollte sie ihre Überlegungen nur für sich behalten? Jedenfalls gelang es ihr nicht, etwas darüber zu erfahren, solange Teresa dies nicht wollte. Endlich schlief Jimena ein, doch die Träume, die sie jagten, waren alles andere als erholsam.
Es war noch dunkel, als sie plötzlich hochschreckte. Verwirrt versuchte sie die sich überlagernden Bilder in ihrem Geist zu trennen. Was war geschehen? Was war nur Trugbild ihrer Ängste, und was drohte wirklich über sie hereinzubrechen?
Sie wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie ein Drängen spürte, das sie nicht ignorieren konnte. Etwas ging in gerade diesem Augenblick vor. Etwas, das ihr gar nicht gefiel: eine Gefahr für Isabel und Fernando und all ihre Getreuen.
Jimena schlüpfte aus dem Bett, schlang sich ein warmes Tuch um die Schultern und huschte hinaus.
Kapitel 30
Segovia, 1474
Jimena schlich durch den dunklen Palast. Es musste noch sehr früh sein, denn außer den Wächtern, die die ganze Nacht über ihre Runden drehten, schien noch keiner wach zu sein. Was also hatte sie alarmiert? Hatten ihre Albträume sie genarrt?
Sie blieb an der Treppe stehen, die zu den Schlafräumen der Wächter und der anderen Männer führte, die in den Diensten des Königs standen. Dort oben musste Ramón irgendwo sein. Sie sehnte sich danach, zu ihm zu gehen, sich in seine Arme zu schmiegen und von ihren Ängsten zu erzählen, doch tief in ihrem Innersten wusste sie, dass selbst seine Küsse ihre Befürchtungen nicht würden zerstreuen können. Die Bedrohung, die sie körperlich spüren konnte, war keine Einbildung!
Aber wäre es nicht beruhigend, Ramón an ihrer Seite zu wissen?
Sie unterdrückte einen Seufzer. Das war unmöglich. Er schlief schließlich nicht allein in einer Kammer. Wie sollte sie sich dort hinaufschleichen können? Was, wenn einer der anderen Männer erwachte und sie erkannte? Nein, das würde ihrem Ruf schaden und Isabel ganz sicher nicht gefallen. Wohin also dann?
Jimena schloss die Augen und versenkte sich in ihren Geist. Dann schritt sie los. Sie wusste nicht genau, wohin ihre Ahnung sie führte, doch bald kam ihr ein Verdacht. Es war der Trakt des Palasts, in dem die wichtigsten Gäste untergebracht waren: die mächtigen Granden und hohen Kirchenmänner. Obgleich Jimena noch keines der Gemächer betreten hatte, wusste sie, wer hinter der ersten Tür schlief: Don Beltrán. Und gleich nebenan hatte Juan Pacheco sein Gemach. Sie konnte eine Stimme hören. Die verhasste Stimme des Marquis de Villena! Jimena trat noch ein Stück näher und schloss wieder die Augen, um sich auf seine Worte zu konzentrieren.
»Es springt einem doch geradezu ins Auge!«, rief er erregt, und sie konnte ihn vor sich sehen, wie er mit auf dem Rücken verschränkten Armen ruhelos auf und ab ging.
»Cabrera hat den König vergiftet, und dafür gibt es nur eine gerechte Strafe!«
»Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?«, vernahm sie die ruhige Stimme Don Beltráns.
»Wie könnte es anders sein? Der Konvertit ist besessen davon, Isabel auf den Thron zu verhelfen. Er und sein Weib, das seit Kindesbeinen an ihr hängt, und all das geldgierige Judenpack, das er mit angeschleppt hat. Das ist Hochverrat und kann nur durch die Hinrichtung der beiden gesühnt werden!«
Jimena biss sich auf die Lippen, um keinen Laut von sich zu geben.
»Wenn man ihnen das beweisen kann, dann habt Ihr sicher recht.« Die Stimme von Beltrán de la Cueva klang noch immer ruhig und beherrscht.
»Beweisen? Was muss man da noch beweisen? Die Lage ist sonnenklar. Man muss die ganze Clique dieser Verschwörung ausmerzen. Habt Ihr gesehen, wie der Kardinal und Isabel den ganzen Abend die Köpfe zusammengesteckt haben? Er hängt da mit drin. Daher muss der König ihn verbannen!«
»Um es dann mit dem ganzen Clan der Mendozas aufzunehmen? Man darf die Macht des Marquis de Santillana nicht unterschätzen.«
Juan Pacheco ignorierte den Einwand. »Der König muss geschützt werden, und das gelingt nur, wenn man der ganzen Verschwörerbande den Garaus macht. Man muss ihn davon überzeugen, wie gefährlich Isabel und dieser aragonische Hundesohn sind, den sie frech ihren rechtmäßigen Gatten nennt. Der König muss sie in Ketten legen lassen und ins tiefste Verlies werfen, wo sie kein Unheil mehr anrichten können.«
Jimena presste sich beide Handflächen gegen die Brust, so als fürchtete sie, das heftige Klopfen ihres Herzens
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