Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Erzbischofs zwar sein Ehrgeiz und eine gewisse Härte zu lesen war, so gab es in ihr durchaus auch einen freundlichen Zug, was die des Marquis völlig vermissen ließ. Sein Gesichtsausdruck war nur kalt und berechnend. Für einen Augenblick ruhte der unstete Blick aus seinen kleinen, schwarzen Augen auf Jimena, und es durchfuhr sie, als habe ein Schwall Eiswasser sie getroffen. An sich hätte man in ihm einen anziehenden Mann in der Blüte seiner Jahre sehen können. Das schwarze Haar und sein Bart waren sorgfältig gestutzt, sein eng anliegendes Wams mit den weiten, bauschigen Ärmeln war prachtvoll und ließ einen kraftvollen Körper erahnen. Sein Gesicht war vielleicht ein wenig scharf geschnitten, und die Linien, die sich um den Mund und auf der Stirn eingegraben hatten, sprachen nicht gerade davon, dass er häufig lächelte. Nein, dies war ein gefährlicher Mann, den man sich nicht zum Feind machen sollte. Von dem man sich besser fernhielt! Und während Jimena seine Charakterzüge lesen konnte, ahnte sie auch, dass sie ihm noch häufiger begegnen würde, als ihr lieb sein konnte, und dass diese Treffen nicht angenehm werden würden – für sie nicht und vor allem nicht für Isabel!
Doch der Abend brachte noch eine Überraschung, die Jimena nicht vorausgeahnt hatte. Plötzlich stand der junge Mann von etwa achtzehn Jahren in der Tür zum Saal, verneigte sich und meldete den beiden hohen Gästen, dass die Pferde versorgt und ihre Gemächer bereit seien. Dann erst wandte er sich Dominga zu, die neben der Königinwitwe gestanden hatte und ihn mit einem Gesichtsausdruck begrüßte, den Jimena noch nie bei ihr gesehen hatte. Es war reines Glück, und als der junge Mann sie ein wenig schüchtern umarmte, glänzten gar Tränen in ihren Augen. Was ihre Miene allerdings nicht zeigte, war Überraschung. Vermutlich hatte sie es, wie vieles mehr, in ihren Träumen gesehen.
Da endlich erkannte ihn auch Jimena. Ramón! Ihr Vetter Ramón, Tante Domingas Erstgeborener. Seltsam, wie lange sie nicht mehr an ihn gedacht hatte, dabei war er der Held ihrer frühen Kinderjahre gewesen, mit dem sie gespielt und der sie auf seinen Armen herumgeschleppt hatte. Doch das war jetzt ein halbes Dutzend Jahre her. Er war ein Knabe gewesen, als sie in Sevilla voneinander Abschied genommen hatten. Während sie mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Arévalo gereist war, hatte er sich zum Hof des Königs aufgemacht, um dort eine Stellung und ein Auskommen zu erlangen. Offensichtlich war ihm das gelungen. Seine Haltung und seine Kleidung ließen darauf schließen, dass er nicht gerade ein einfacher Pferdebursche war. Gehörte er etwa schon zu den Rittern des Königs?
Ramón befreite sich aus der Umarmung seiner Mutter und trat ein wenig verlegen zurück, ehe er den Blick durch den Saal schweifen ließ, bis er an der Gruppe von Mädchen hängen blieb. Zuerst verharrte er auf Beatriz, die vielleicht die Hübscheste war, wie Jimena mit einem Anflug von Neid dachte. Isabel streifte er nur mit einem kurzen Blick und fixierte dann Jimena, ehe er sich Teresa zuwandte. Für einen Augenblick dachte sie, er würde zu ihnen kommen, um zumindest seine Schwester in die Arme zu nehmen, doch zu Jimenas Enttäuschung verbeugte er sich nur aus der Ferne und verließ dann den Saal, vermutlich um sich um die Vorbereitung ihrer weiteren Reise zu kümmern.
Jimenas Ahnung wurde zur Gewissheit. Der Besuch der Männer bedeutete ihren Abschied von Arévalo. Natürlich waren die hohen Herren nicht gekommen, um Jimena zu holen. Für sie interessierte sich keiner. Nein, König Enrique, der zurzeit in seinem Alcázar in Segovia weilte, hatte seine beiden Vertrauten nach Arévalo geschickt, um seine Stiefschwester und deren jüngeren Bruder an seinen Hof zu holen, wie die Königinwitwe kurz darauf der erstaunten Isabel mitteilte.
»Er will dir und deinem Bruder eine gute Erziehung angedeihen lassen«, fügte sie ein wenig spitz hinzu, und Jimena hörte zwischen den Zeilen ihren Ärger darüber, dass der Stiefsohn ihr anscheinend nicht zutraute, dies bereits selbst in ausreichendem Maße getan zu haben.
»Wozu sollte das denn nötig sein?«, schimpfte Beatriz leise, als sich die Königin wieder an ihre Gäste wandte und man die Mädchen nicht weiter beachtete.
»Um mir und Alfonso das beizubringen, was ein Infant aus königlichem Geblüt können und wissen muss, um ihn vorteilhaft an einen anderen europäischen Hof zu verheiraten«, erklärte Isabel nüchtern, die
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