Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
zog schmollend die Lippe hoch. »Für alte Frauen und Kirchenmänner vielleicht«, sagte sie und warf einen begehrlichen Blick auf Ramóns prächtiges Ross. »Das wäre nach meinem Geschmack!«
Ramón lachte. »Das ist kein Reisepferd, das ist ein Streitross! Und ich sage Euch, Ihr würdet Euch schnell beschweren, wenn Ihr den unbequemen Trab meines Rosses in Eurem Sattel für Damen ertragen müsstet. Es beherrscht den Zeltgang nicht und würde Euch ganz schön durchschütteln.«
»Ja, aber es kann bestimmt wundervoll galoppieren!«, widersprach sie mit einem Glitzern in den Augen.
»Oh ja, ganz sicher, von Arévalo bis nach Segovia, sodass Ihr in wenigen Stunden bei Hof eintreffen würdet – allerdings in einem Zustand wie ein reitender Bote am Ende seines Tages!«
Jimena spürte den Zorn in Isabel aufsteigen. »Untersteht Euch, über mich zu spotten, Don Ramón. Ihr glaubt wohl, dass ich solch ein Pferd nicht reiten kann. Ich werde Euch das Gegenteil beweisen, und dann müsst Ihr mich um Verzeihung bitten und mich zu einem Jagdritt begleiten!«
Ramón deutete eine Verbeugung an. »Mit Vergnügen, Alteza, Ihr könnt über mich verfügen.« Doch sein Grinsen verriet, dass die ehrerbietigen Worte nicht ganz ernst gemeint waren.
»Ich werde es ihm schon zeigen«, brummte Isabel missmutig vor sich hin, und Jimena glaubte ihr. Bisher waren sie nur ab und zu auf den kleinen Pferden von Beatriz’ Vater geritten, wenn er mit den Mädchen einen Ausflug vor die Stadt unternommen hatte. Doch so ein heißblütiges Ross war etwas ganz anderes. Auch in Jimena stieg Begehren auf, als sie sah, wie Ramón zur Spitze des Zuges vorgaloppierte, doch leider hatte sie keinen königlichen Bruder, den sie um solch ein Geschenk bitten konnte. Sie seufzte und sah zu Beatriz, die nur den Kopf schüttelte.
»Nein, ich würde mich nicht für zehn Goldstücke auf solch ein Teufelsvieh setzen«, sagte sie.
Sie näherten sich ihrem Ziel, der Königsstadt Segovia, in der der König, wie in so vielen Städten seines Reiches, einen Alcázar besaß. Doch der Palast von Segovia war nicht nur irgendeiner unter vielen. Er zählte zu den prächtigsten, in denen sich der König gern aufhielt, und er enthielt die Schatzkammer des Reiches. Schon lange bevor die Stadt vor ihnen auftauchte, erhoben sich die schneebedeckten Berge der Sierra de Guadarrama weit in der Ferne vor ihnen in den blauen Frühlingshimmel. Sie war ein Teil der lang gezogenen Cordillera Central, die das Hochland von Kastilien in Ost-West-Richtung zerschnitt und deren Überquerung für die Zugtiere vor den Karren der Händler viel Mühe und Schweiß bedeutete. Während es für Reiter und Wanderer zahlreiche Wege über die Berge gab, waren die Karrenwege gezählt und bedeuteten meist einen längeren Umweg, wenn man beispielsweise von Toledo, der Stadt des Erzbischofs, an den Hof von Segovia oder gar weiter nach Valladolid oder Burgos reisen wollte. Jimena ließ sich vom bequemen Schritt des Zelters im Sattel hin- und herschaukeln, den Blick voller Erinnerungen auf die hohen Berge gerichtet. Wie lange lag es nun schon zurück, dass sie voll Hoffnungen, aber auch mit ein wenig Angst in der Brust von Sevilla nach Arévalo gereist waren, um ein neues Leben zu beginnen? Nun also fing wieder ein wichtiger Abschnitt an, der nicht so ruhig und beschaulich verlaufen würde wie ihre Jahre im alten Königspalast der kleinen Stadt. Nun traten sie ins Zentrum des Geschehens, in den Brennpunkt von Macht und Intrigen, wo man so leicht zwischen den Fronten zermalmt werden konnte, wenn man nicht achtgab, mit wem man sich anfreundete und wen man sich zum Feind machte.
Sie ritten einen sanften Hügel hinauf, und die Pferde beschleunigten ein wenig ihren Schritt, ohne dass man sie antrieb. Jimena war in Gedanken versunken und bemerkte erst, dass Ramón sich zu ihr hatte zurückfallen lassen, als er zu sprechen begann.
»Pass auf und richte deinen Blick geradeaus«, sagte er, als die Pferde die letzten Schritte des Hügels erklommen. Jimena wollte schon fragen, was er ihr zeigen wollte, als sie unwillkürlich die Luft anhielt. Sprachlos betrachtete sie das Panorama, das sich unter ihr ausbreitete, und blieb stumm, bis der Erzbischof am Kloster der unbeschuhten Karmeliterinnen anhalten ließ, um sich und den anderen Reisenden einen letzten Trunk zu gönnen, ehe sie in die Stadt einritten. Jimena blieb auf ihrem Zelter sitzen und konnte sich an der Königsstadt Segovia, die sich vor ihr ausbreitete,
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