Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
schwer würde der ungebremste Wind Mensch und Tier zu schaffen machen. Wie schnell konnte man so stark auskühlen, dass es keine Rettung mehr gab! So zogen sie ins Tal des Río Pisuerga und folgten seinem Lauf in einem Bogen nach Nordosten bis zum Zufluss des Río Arlanzón, an dessen Ufer sich drei Tagesreisen weiter Burgos mit seinen mächtigen Mauern erhob, denen die Geschütze des Aragoniers bereits mächtig zugesetzt hatten.
Sie ritten das Tal entlang, eifrig darauf bedacht, sich an der Hangschulter ein wenig vor dem eisigen Wind zu schützen, der sie zu verhöhnen schien und mal von dieser, mal von der anderen Seite auf sie herunterfuhr, um an ihren Umhängen zu zerren. Er wirbelte den frischen Schnee wieder auf und schob ihn hier und da zusammen, sodass die weiche Schneedecke immer wieder unvermittelt unter den Hufen ihrer Pferde nachgab und die Tiere manches Mal fast bis zum Bauch einsanken. Dieser Januar brachte ungewöhnlich viel Schnee für die Hochebene von Kastilien, wie der Kardinal nun schon zum dritten Mal bemerkte, was Jimena nicht wirklich trösten konnte, als ihre Fuchsstute wieder einmal mit einem kläglichen Wiehern im Schnee versackte. Jimena seufzte und spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Sie war erschöpft und fühlte sich halb erfroren, sodass sie Hunger und Durst schon nicht mehr spürte. Doch allein der Gedanke an die Anstrengung, vom Pferd zu steigen, es aus dem Schnee zu befreien und sich wieder in den Sattel zu kämpfen, schien über ihre Kräfte zu gehen.
»Bleibt sitzen«, sagte der Kardinal sanft, der sein Pferd angehalten hatte und sich zu ihr herumdrehte. »Einer meiner Männer wird Euch helfen.«
»Danke, ich schaff das schon«, erwiderte sie kraftlos und ließ sich vom Pferd gleiten, doch sie spürte nicht einmal mehr, wie ihre Füße den Boden berührten. Mit einem stechenden Schmerz gaben ihre Knie nach, und sie fiel der Länge nach mit dem Gesicht voran in den Schnee. Noch ehe sie ihre Gedanken gesammelt und sich aufgerappelt hatte, griffen starke Hände nach ihren Schultern und halfen ihr, sich umzudrehen. Ja, sie hoben sie mühelos auf und stellten sie auf die Füße. Jimena schwankte, doch der Mann ließ sie erst los, als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
»Danke«, seufzte sie. Der bärtige Riese, von dem sie nicht einmal den Namen wusste, nickte ihr zu und half dann der Stute aus der Schneewehe. Dann fasste er Jimena an den Hüften und warf sie geradezu in den Sattel. Fast wäre sie auf der anderen Seite wieder heruntergefallen, so träge bewegten sich ihre ausgekühlten Arme. Und jetzt hatte sie auch noch jede Menge Schnee zwischen ihren bis zum Knie gefrorenen Röcken.
»Eine Meile flussaufwärts kommen wir zu einem Kloster der Franziskaner, dort sollten wir rasten und uns aufwär men«, schlug der Kardinal vor, und selbst Isabel war zu er schöpft, um ihm zu widersprechen.
Er trieb sein Schlachtross an ihre Seite. »Kopf hoch, Majestät. In zwei Tagen sind wir in Burgos. Es wartet nur darauf, Euch wie eine reife Frucht in den Schoß zu fallen. Und dann wird seine Königin im Triumphmarsch durch das Tor reiten.«
»Wollen wir es hoffen«, stieß Isabel durch die Zähne hervor.
Vielleicht verfügte auch der Kardinal über hellsichtige Träume. Jedenfalls kam es so, wie er es vorhergesagt hatte.
Sie erreichten den Belagerungsring um Burgos am Nachmittag des 18. Januar und wurden sofort zum Zelt des be fehlenden Kommandanten geführt. Alfonso von Aragón verneigte sich tief vor der Königin und ließ ihr und ihrer Begleitung sogleich ein kleines Haus im nächsten Dorf herrichten. Wer für seine Königin sein warmes Quartier räumen musste, erfuhren sie nicht. Doch ehe Isabel bereit war, sich an ein Kaminfeuer zu setzen und sich auszuruhen, verlangte sie zu wissen, wie es um die Stadt stand.
Jimena betrachtete den Kommandanten verstohlen. Er sah seinem Halbbruder ähnlich, auch wenn sein Haar von einem helleren Ton war. Wie Fernando wohl zu dem unehelichen Spross der Familie stand? Ärgerte oder freute es ihn, dass sein Vater ausgerechnet ihn gewählt hatte? Oder kam es nur darauf an, dass er ein guter Feldherr war? Isabel ließ sich jedenfalls nichts anmerken. Wenn König Juan von Aragón seine uneheliche Geburt nicht störte, dann nahm auch die Königin von Kastilien keinen Anstoß daran.
»Nun sagt mir, Don Alfonso, wie steht es um die Stadt?«
Er neigte den Kopf und lächelte ihr zu. »Wir haben nicht mit so hohem Besuch gerechnet, doch ich
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