Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
würde sagen, Euch gebührt die Ehre, schon morgen durch das Tor in die Stadt einzureiten.«
»Ich werde rechtzeitig bereit sein, wenn der Sturm auf die Mauern beginnt«, versprach sie mit blitzenden Augen.
Kardinal Mendoza brachte sie noch zu ihrem Quartier und ließ zwei seiner Bewaffneten zu ihrem Schutz zurück. Dann suchte auch er sein Lager auf, das sicher nicht weniger angenehm war als das der Königin. Man hatte die kleine Stube ordentlich eingeheizt, die Bettdecken waren gewärmt, es stand ein großer Kessel heißes Wasser bereit und ein kleinerer mit einem kräftigen Fleischtopf. Dazu gab es frisches Brot. Jimena seufzte. Erst half sie Isabel, dann wechselte auch sie rasch die Kleider und wusch sich.
»So muss man sich fühlen, wenn man in den Himmel kommt«, meinte Isabel mit einem feinen Lächeln, als die beiden Frauen zusammen vor dem Feuer saßen und einen Teller nach dem anderen leerten.
Jimena erwiderte das Lächeln. »Ach, dann ist es dir also nicht entgangen, dass der Ritt ein wenig anstrengend und das Wetter etwas frisch war?«
Isabel schüttelte den Kopf. »Hältst du mich für gefühllos?«
»Nein, für ungewöhnlich stark.«
Isabel überlegte. »Vielleicht hast du recht, aber auch ich dachte ein paarmal, dass mich meine Kräfte im Stich lassen. Mein Wille ist es, der stark bleibt.«
»Wie auch immer«, gähnte Jimena, die nun nichts mehr begehrte als ein warmes Bett und viele Stunden ungestörten Schlaf.
Die Männer des Kardinals weckten sie mit lautem Gepolter an der Tür, noch ehe das erste Licht des Morgens den Himmel erhellte. Isabel war sofort auf den Beinen und hatte sich schon fast angekleidet, bis Jimena Holz nachgelegt und die Glut wieder in Gang gebracht hatte. Eine Magd brachte ihnen heiße Milch und Grütze, die sie schnell herunterschlangen. Dann hüllten sie sich in ihre Mäntel und traten in den eisigen Morgen. Der Kardinal wartete schon auf seinem Streitross. Er trug eine schwere Rüstung mit Brustpanzer und Helm, sodass ihn Jimena im ersten Moment fast nicht erkannt hätte. Der bärtige Riese, der mit ihnen von Tordesillas hergereist war und von dem sie inzwischen wusste, dass er Don Miguel hieß und aus Zamora stammte, hielt die Pferde der Frauen und half ihnen in den Sattel.
»Einen guten Morgen, Majestät, und Gottes Segen – und Euch natürlich auch, Doña Jimena«, begrüßte sie der Kardinal überschwänglich. Auch ihn schien dieses aufgeregte Kribbeln erfasst zu haben, das Jimena nicht ruhig im Sattel sitzen ließ. Selbst Isabel wirkte ungewohnt aufgewühlt.
»Euch auch einen guten Morgen, Eminenz. Möge es auch ein guter für ganz Kastilien werden!«
»Amen! Dann lasst uns losreiten.«
Natürlich waren die Männer schon auf den Beinen, und der Halbbruder des Königs begrüßte sie knapp. Er war nicht unfreundlich, doch für lange Höflichkeitsbezeugungen war jetzt nicht die rechte Zeit. Für Isabel schien dies in Ordnung zu sein. Er gab den Männern an den Kanonen letzte Anweisungen und befahl den Reitern, in ihren Gruppen Aufstellung zu nehmen und sich bereitzuhalten. Kardinal Mendoza persönlich würde die Gruppe der schwer gepanzerten Ritter auf ihren Schlachtrössern anführen.
Es war kurz vor Sonnenaufgang, als sich eine ungewöhnliche Stille über das Lager senkte. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Die Männer waren bereit. Erwartungsvoll richteten sich alle Augen auf die Stadtmauer, deren Schäden nun unbarmherzig in Sonnenlicht getaucht wurden. Heute endlich würden sie – mit Gottes Hilfe – den Lohn für die Entbehrungen der Belagerungszeit erhalten. Wobei die Entbehrungen hinter der Stadtmauer in den vergangenen Wochen vermutlich noch größer gewesen sein mussten. Die Nahrungsmittel waren zu Ende und an Kochen oder Heizen gar nicht mehr zu denken. Vermutlich war auch das Wasser knapp geworden, und so mancher Bürger hoffte im Stillen, es möge endlich zu Ende gehen und eine gnädige Königin ihnen ihre Rebellion verzeihen.
»Wir feuern noch einmal eine Salve aus allen Rohren auf diese Stelle neben dem Tor«, erläuterte Alfonso von Aragón der Königin. »Dann lass ich – noch ehe sich der Pulverdampf verzogen hat – die erste Gruppe der Reiterei durch die Bresche eindringen. Sie sind gut gepanzert, und ich hoffe, die meisten werden den Pfeilhagel überstehen, der sie erwartet. Sie haben nur eine Aufgabe: dem Hauptheer das Tor zu öffnen.«
Isabel nickte. Sie saß hoch aufgerichtet auf ihrem Pferd und beobachtete jede seiner
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