Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Bewegungen. Jimena, die respektvoll ein wenig im Hintergrund blieb, folgte ihrem Beispiel. Ja, der alte Fuchs aus Aragón hatte klug gehandelt, als er ihnen seinen Sohn schickte.
Alfonso gab den Feuerbefehl, und der Boden erzitterte unter der Gewalt der schweren Geschütze. Jimena konnte nicht sehen, ob sie ihr Ziel getroffen hatten, doch der Angriffsbefehl erscholl, und Kardinal Mendoza setzte sich mit seinen Rittern in Bewegung. Noch einmal bebte der Boden, als die Hufe der schweren Rösser über den hart gefrorenen Boden trommelten. Sie hatten die Stadtmauer schon fast erreicht, als sich der Pulverdampf so weit verzog, dass sie etwas erkennen konnten. Ja, die Geschütze hatten ihr Ziel getroffen und der Mauer den Todesstoß verpasst. Obgleich die Eingeschlossenen sich alle Mühe gegeben hatten, jeden Schaden so schnell wie möglich notdürftig zu reparieren, hatte die Mauer an dieser Stelle nun nachgegeben und war auf einige Schritt Länge in sich zusammengesackt. Nun, da auch die Bogenschützen wieder etwas sehen konnten, prasselten Pfeile auf die Angreifer nieder, doch schon erklommen die ersten Rösser den Haufen loser Gesteinstrümmer. Jimena sah, wie die Ritter mit ihren Schwertern nach allen Seiten hieben, um den Ring der Verteidiger zu durchbrechen. Blut floss über die Steine der eingestürzten Mauer, und immer mehr drängten nach.
Für einige Minuten war nicht zu sehen, ob den Rittern der Durchbruch gelingen würde. Jimena sah einen nach dem an deren tödlich verwundet von seinem Pferd stürzen. Einige der reiterlosen Rösser machten kehrt und jagten über das eisige Feld davon. Jimena war von dem grausigen Bild so gefesselt, dass sie das Tor aus den Augen ließ, bis Isabel einen Schrei ausstieß. Die mächtigen Torflügel schwangen zurück. Sie hatten es geschafft! Sofort ließ Alfonso den Rest der Reiterei nachrücken und setzte auch seine Fußtruppen in Marsch. Mit Spießen und Äxten waren sie bewaffnet, und Jimena erschauderte, als sie mit wildem Gebrüll auf die Stadt zustürmten. Doch noch ehe sie die Mauern auch nur erreichten, war es vorbei. Die Fahne der reichen und stolzen Stadt Burgos sank, und seine Bürger ergaben sich auf Gedeih und Verderben ihrer Königin.
Kardinal Mendoza kam mit einigen seiner Ritter zurück. Er hielt sein Ross vor Isabel an und klappte das Visier hoch.
»Majestät, darf ich bitten? Burgos ist bereit, sich Euch zu Füßen zu werfen.«
Und so ritt Isabel an seiner Seite durch das Tor, gefolgt vom siegreichen Halbbruder ihres Gatten und seinen Männern, bereit, die Stadt in ihren Besitz zu nehmen.
Kapitel 40
Tordesillas, April 2012
Isaura stand wieder einmal im Hof und sah zu, wie die Sonne in feurigen Farben versank. Schon allein diese Sonnenuntergänge waren Grund genug, in Kastilien zu bleiben, dachte sie ein wenig spöttisch.
Er war weg. Justus war längst in der exzellenten Klinik in München angekommen, die Sandy für ihn ausgesucht hatte, um dort von all dem Leid, das ihm in Kastilien widerfahren war, zu genesen. Mit Sandy an seiner Seite, die ihr deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie Justus nicht mehr aus ihren Krallen lassen würde. Ihr Kind brauchte einen Vater!
Lass ihn los.
Isaura war zu erschöpft, um sich weiter gegen die fremde Stimme zu wehren. Außerdem klang sie dieses Mal sanft und tröstlich. Sie stellte sich vor, dass ihre Großtante Carmen hinter ihr stand. Die alte Frau in den altmodisch langen schwarzen Gewändern. Sie würde ihre schmale, faltige Hand heben und ihr über den Rücken streichen.
Du bist nicht allein, mein Kind. Gemeinsam werden wir durch dieses Tal schreiten. Noch greifst du nach einer helfenden Hand, doch du wirst deine Kraft bald wiederfinden und beherzt auf deinem Lebensweg voranschreiten. Eine Liebe zu verlieren ist hart, das will ich nicht bestreiten, doch es bedeutet nicht das Ende!
Isaura schloss die Augen. Ja, sie konnte die Hand spüren und die Wärme, die von ihrem Körper ausging. Es war Unsinn, dennoch fuhr sie herum. Natürlich war dort niemand. Nur ein Schatten huschte am Rand ihrer Wahrnehmung davon.
Sie war übermüdet. Es wurde dunkel, und am Horizont zogen düstere Wolken auf. Es wurde Zeit, hineinzugehen und ihren inzwischen schon vertrauten Platz auf der Küchenbank aufzusuchen. Isaura sah sich nach Golondrino um, der mit erhobenem Schwanz über den Hof geschlendert kam.
»Gehen wir hinein? Da braut sich ein Unwetter zusammen.« Der Kater schien sie zu verstehen. Er strich ihr einmal um die
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