Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Beine und ging ihr dann voran ins Haus. Die ersten Windböen rüttelten an den Ästen der Obstbäume, die nach den Wiesen am Flussufer nun ebenfalls endlich einen Hauch von Frühlingsgrün zeigten.
Während es zunehmend dunkler wurde und der Wind auffrischte, kochte Isaura sich Pasta mit Oliven, getrockneten Tomaten, Parmesan und etwas Thunfisch aus der Dose, den sie brüderlich mit Golondrino teilte. Das war zwar im Vergleich zu dem kulinarischen Feuerwerk, das Marco zwei Abende vorher für sie gezaubert hatte, eine armselige Leistung, aber immerhin besser als ihre kalten Salate all die Abende zuvor. Leider hatte sie gestern alle Reste des Festmahls vertilgt, sodass sie nun eben auf ihre eigenen Vorräte zurückgreifen musste.
Isaura betrachtete die leere Thunfischdose in ihrer Hand. »Eigentlich sollte man so etwas gar nicht mehr kaufen«, sagte sie zu dem Kater. »Die Meere werden immer mehr überfischt, und der Thunfisch gehört zu den bedrohten Arten.«
Den Kater schien das nicht zu stören. Er ließ sich seine Portion schmecken und bedankte sich mit einem lauten Schnurren.
»Morgen fahre ich auf den Markt und kaufe frische Zutaten, die es hier in der Region gibt«, kündete sie an, während sie noch ein wenig Sahne unterrührte.
Ja, morgen, wenn sie alle Zeit der Welt zum Einkaufen haben würde. Keine Fahrten mehr ins Krankenhaus. Keine Streitereien mit Sandy. Sie würde sich Zeit für sich selbst und ihre Gedanken nehmen.
Die Aussicht lockte und erschreckte sie gleichermaßen, und sie fragte sich, was sie vorher gemacht hatte, im Leben vor dem Unfall und vor dem endgültigen Aus ihrer Ehe.
Sie lauschte in sich hinein. Vielleicht würde der Schmerz irgendwann verschwinden. Er fühlte sich nicht mehr ganz so übermächtig an. Zufrieden stellte sie fest, dass ihr das Essen und der Wein schmeckten.
»Ich werde noch zur Alkoholikerin, wenn ich hier so weitermache«, prophezeite sie und prostete dem Kater zu.
»Ich werde mich umstellen müssen, wenn ich wieder zurück bin.« Sie hatte ›daheim‹ sagen wollen, doch das Wort kam ihr nicht über die Lippen. War sie in München denn noch daheim? – Ja, natürlich! Dort war sie aufgewachsen. Dort gehörte sie hin.
Aber waren dort wirklich ihre Wurzeln?
Sie sah den Kater an. Was würde mit ihm geschehen? Sie konnte ihn doch nicht einfach hier zurücklassen. Aber ihn nach München mitnehmen? Was wäre das für ein Leben für ihn mitten in der Stadt?
Er sprang zu ihr auf die Bank und sah sie aus seinen schimmernden grünen Augen an. Vielleicht würden sich ihre Nachbarinnen zu Hühnern und Hasen auch noch des Katers annehmen? Wie sie gehört hatte, hatte Maria Pilar das Bett wieder verlassen und erfreute sich zum Erstaunen ihres Arztes bester Gesundheit.
Isaura beschloss, das Problem auf später zu verschieben. Genauso wie die Überlegung, wie lange sie noch in Kastilien bleiben wollte. Auf ihrer Mailbox waren wieder neue Nachrichten, und sie ahnte, dass auch einige E-Mails aus der Redaktion auf Antwort warteten, doch sie rief sie nicht auf. Was hätte sie denn schreiben sollen? Dass sie noch nichts gemacht hatte, außer ihren Mann – oder eher Exmann – beinahe umzubringen? Und auch die Sache mit der großartigen Geschichte, in deren Recherche sie tiefer eintauchen musste, konnte sie der Chefredakteurin noch nicht so recht verkaufen. Sie musste erst mehr in Erfahrung bringen.
Isaura zog das Buch heran, das sie aus der Redaktion hatte mitgehen lassen. Sie hatte das Bild einige Tage lang nicht mehr betrachtet, und so kam es ihr vor, als würde sie eine Freundin treffen, die sie längere Zeit vernachlässigt hatte. Sie strich mit den Fingern über das glatte, glänzende Papier, doch es war ihr, als könne sie den samtigen Stoff und die Stickereien fühlen. Ihre Hand wanderte zu dem Geschmeide um den Hals der Unbekannten. Wie kühl sich die kunstvoll geschliffenen Steine anfühlten und wie wunderbar seidig glatt die tropfenförmigen Perlen.
Es war nur ein Bild! Ihre Einbildungskraft ging mal wieder mit ihr durch. Und doch fühlte es sich wie eine Erinnerung aus längst vergangenen Tagen an.
Isaura öffnete das Kästchen mit Großtante Carmens Schmuckstücken und holte das Collier hervor. Sie band ihr Haar zu einem Knoten zusammen. Dann zog sie ihren Pullover aus, sodass sie nur noch das schwarze Trägertop zu ihrer Jeans trug. Mit zitternden Händen legte sie sich das Collier um den Hals. Es war recht schwer, doch es fühlte sich gut an. Isaura schloss die
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