Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Männerhänden zu entwinden, die sie auf das Bett zu drängen versuchten. Ihr Mund war in einem stummen Schrei geöffnet.
»Lasst das Kind los, oder Ihr werdet es bereuen, je geboren worden zu sein!«, schrie Jimena den Mann an, der mehr als einen Kopf größer und vermutlich doppelt so breit war wie sie. Sie hatte keine Ahnung, wer er war, aber das interessierte sie auch nicht. Es gab niemanden, dem es zustand, sich an dem stummen Mädchen zu vergreifen, das gerade einmal zehn Jahre alt war! Sie schlug ihm mit den Fäusten auf den Rücken und ließ jeden Fluch auf ihn einprasseln, der ihr einfiel. Verblüfft wandte er sich zu ihr um.
Die Wut schien in Jimena zu explodieren. Es fühlte sich an, als würde etwas in ihr bersten. Sie schrie, und der Mann schrie ebenfalls.
Vor Überraschung? Vor Zorn? Vor Schmerz?
Es war ihr egal. Sie war nur zornig und wollte ihn wie einen Wurm im Staub sich winden sehen.
Es war Schmerz, stellte Jimena erstaunt fest. Er fiel auf die Knie und schlug sich die Hände vors Gesicht. Sie sah, wie sie sich rot färbten. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch.
Jimena starrte fassungslos den großen Mann an, der nun wimmernd am Boden kauerte. Auch Teresa, die sich zuerst in eine Ecke geflüchtet hatte, kam nun langsam näher, den Blick voller Staunen auf ihren Angreifer gerichtet.
»Was ist denn hier los?«
Die Stimme ließ die beiden Mädchen herumfahren. Der Mann am Boden wimmerte noch immer.
»Don Angelo«, keuchte Jimena. »Was habt Ihr hier zu suchen?«
Der junge Hidalgo hob die Schultern. »Ich hatte so das Gefühl, dass hier nicht alles so ist, wie es sein sollte. Aber was ist mit Don Rodrigo?«
»Er hat versucht, sich an meiner kleinen Cousine zu vergreifen!«, rief Jimena, und die Empörung schlug noch einmal wie eine Woge über ihr zusammen. Der Mann stöhnte vor Pein.
»Das hätte er nicht tun sollen«, gab Don Angelo in aufreizend ruhigem Ton zu. »Doch was habt Ihr mit ihm gemacht?«, erkundigte er sich und sah Jimena mit hochgezogenen Brauen an. »Habt Ihr ihm einen Dolch in die Brust gerammt?«
»Unsinn!«, zischte sie. »Ich habe ihn lediglich angeschrien und ihm gesagt, er solle seine Finger von ihr nehmen. Nun ja, ein wenig verflucht habe ich ihn auch«, gab Jimena trotzig zu.
»Und woher kommt das ganze Blut?« Don Angelo ging in die Hocke und zog die rot verschmierten Hände von Don Rodrigos Gesicht.
Der starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. In seinem Blick standen Angst und Schmerz. Noch immer quoll ihm Blut aus der Nase und aus den Ohren und tropfte auf sein aufwendig besticktes Wams, ansonsten schien er unverletzt.
»Erhebt Euch, Don Rodrigo«, herrschte ihn der jüngere Höfling an, »und reißt Euch zusammen!« Seine Stimme klang verächtlich, und auch Jimena konnte nun, da ihr Zorn in sich zusammengefallen war, nur noch Verachtung für den Mann empfinden.
Don Angelo aber grinste. »Ihr habt mir gar nicht gesagt, dass Ihr eine so schlagkräftige Rechte habt. Oder ist die Linke Eure bessere Schlaghand, Doña Jimena? Da muss ich in Zukunft ja direkt vorsichtig mit meinen Frechheiten sein, damit ich eines Tages nicht auch so zugerichtet werde«, spottete er.
Jimena aber schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nicht geschlagen. Nicht ins Gesicht. Ich weiß genauso wenig wie Ihr, was geschehen ist!«
Der bullige Hidalgo schnaubte wie ein Kampfstier und versprühte Blut, sodass Jimena und Don Angelo zurückwichen. Anklagend hob Don Rodrigo die Hand und zeigte auf Jimena.
»Hütet Euch vor diesem Weib«, stieß er hervor. »Sie ist eine Hexe!«
Dann wankte er hinaus und ließ die drei anderen sprachlos in Isabels Gemach zurück.
Teresa trat zu ihnen und schmiegte sich an ihre Cousine.
»Dir ist nichts geschehen«, hauchte Jimena, »dem Herrn im Himmel und seinen Engeln sei gedankt!«
»Dem Herrn im Himmel?«, wiederholte Don Angelo und wiegte den Kopf hin und her. »Ich habe noch nie davon gehört, dass er seine Engel schickte, eine Frau vor der Gewalt eines Mannes zu bewahren.«
»Ihr lästert Gott!«, warf ihm Jimena vor, doch sie konnte die Empörung nicht fühlen, die sie in ihre Stimme legte.
»Nein, ganz sicher nicht. Ich bin nur für Gerechtigkeit. Daher sage ich, Doña Jimena sei Dank! Oder etwa nicht? Ich habe von den Kräften gehört, über die Eure Tante Dominga verfügt. Ist es möglich, dass auch in Euch mehr steckt, als man zuerst erahnen möchte?« Er sah sie neugierig an.
»So ein Unsinn!«, zischte Jimena, packte Teresa an
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