Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
wollten keine Bilder zu diesen Worten in ihr aufsteigen. Dennoch beschloss sie, der Sache nachzugehen und sich unauffällig umzuhören. Und dieses Mal würde sie sehr genau auf ihre eigenen Worte achten, das schwor sie sich!
Kapitel 6
Segovia, 1464
Die warmen Tage schienen endgültig vorüber zu sein. Jimena träumte noch von den rasanten Ritten auf dem Rücken ihrer Schimmelstute über die abgeernteten Felder der Hochebene oder hinauf in die Eichenwälder am Fuß der Berge, deren weißer Schneemantel nun von Tag zu Tag länger wurde. Natürlich war Isabel auf ihrem Rapphengst stets mit von der Partie gewesen. Sie war eine tollkühne Reiterin, und Jimena empfand immer ein wenig Eifersucht, wenn Ramón dies mit so etwas wie Ehrfurcht in der Stimme erwähnte. Dabei hatte sich Jimena durchaus gemacht und saß nun aufrecht und sicher im Sattel der Stute, die man ganz bestimmt nicht als zahmen Zelter bezeichnen konnte. Manches Mal kam ihr der Verdacht, Ramón würde Isabel gerade deshalb so loben, weil er um ihre Schwäche für ihn wusste. Aber sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als auch nur ein Wort darüber verlauten zu lassen. Sie wollte ihm imponieren, dieses anerkennende Lächeln in sein Gesicht zaubern, von dem ihr so wundervoll warm wurde. Und so ritt sie nur noch häufiger und wilder bei den Jagden mit, bis selbst Don Angelo sie bat, sich ein wenig zurückzuhalten.
»Nicht, dass Ihr das Wild verschreckt, verehrte Doña Jimena – nein, haltet ein, ich nehme es zurück«, rief er lachend, als er sah, wie sie unwillkürlich die Fäuste ballte. »Ich sorge mich um Eure Gesundheit. Es wäre zu schade, wenn Ihr Euch Euer schwanengleiches Genick brechen würdet.«
»Spart Euch Eure Schmeicheleien«, fauchte sie und ließ ihn einfach stehen, obgleich es ihr nie gelang, ihm lange böse zu sein.
Das schlechte Wetter hielt an, und so trafen sich die Mädchen – wenn sie keinen Unterricht hatten – immer häufiger in ihrem Lieblingsraum der Burg, der Bibliothek, die der Vater der königlichen Geschwister, König Juan II., im Laufe seines Lebens aufgebaut und erweitert hatte. Nach dessen Tod hatte Enrique die Bücher nach Segovia bringen lassen. In diesen Raum zogen sich die Mädchen nun zurück und ließen sich von den fremden Welten der Geschichten und Legenden verzaubern. Zumindest Isabel und Jimena liebten es, sich stundenlang in die Seiten der Bücher zu versenken; Beatriz hatte meist schon bald genug, langweilte sich aber mit Anstand. Was Teresa dachte, wusste Jimena nicht. Ihre Cousine war ihr ein Rätsel. Sie strahlte stets diesen freundlichen Gleichmut aus. Genügte es ihr, nur zu beobachten und zuzuhören? Seit einiger Zeit blätterte auch Teresa immer häufiger in einem Buch. Konnte sie denn lesen? Sie war stets bei den Unterrichtsstunden anwesend, auch wenn man sich nicht um sie kümmerte, doch vielleicht hatte sie manches mitbekommen. Jimena beschloss, mit ihr Schreiben zu üben. Dann würde Teresa sich ihnen mitteilen können. Warum war sie nicht schon früher auf diesen Einfall gekommen? Teresa war längst alt genug.
Alfonso und die jungen Damen wurden in Segovia regelmäßig unterrichtet. Enrique schien es ernst damit zu meinen, seinen Geschwistern eine gute Erziehung zukommen zu lassen, und so beauftragte er einen Dominikaner und einen Franziskanerpater, den Infanten alles Nötige beizubringen. Während Isabel und ihre Freundinnen dem Unterricht gern beiwohnten und die beiden Pater mit Fragen quälten, war Alfonso nicht so sehr begeistert, seine Reit- und Fechtstunden gegen einen Platz am Schreibpult einzutauschen.
Er hatte sich von einem lästigen, quengelnden Kleinkind zu einem aufgeweckten Jungen entwickelt, der bereits sein Schwert zu führen wusste. Ja, eines Abends, als sich Isabel in einem der dunklen Höfe wieder einmal ihrer Haut erwehren musste, stürmte er auf den Mann zu, der vom Alter her gut und gern sein Vater hätte sein können, riss sein Schwert aus der Scheide und richtete die Spitze auf den Hals des dreisten Höflings, der die Unverschämtheit besaß, seine Schwester zu belästigen.
»Ich stoße Euch die Klinge in den Hals, Graf, wenn ich Euch noch einmal in der Nähe meiner Schwester erwische!«
Jimena, die ihm gefolgt war, konnte ihn für seinen Mut und seine Entschlossenheit nur bewundern. In seinem Blick stand der feste Entschluss, seinen Worten Taten folgen zu lassen, was offensichtlich auch dem Grafen nicht entging. Er schwor hoch und heilig, Isabel nicht mehr
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