Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
nicht etwa in diesem Ton mit mir reden wollen?«
Er lächelte, und seine Augen strahlten. »Nicht, wenn du mir die Vertrautheit unserer Kindertage weiterhin gestattest.«
»Warum nicht?«, rief sie noch immer ein wenig empört.
»Weil du inzwischen eine junge Dame bist, die schon bald ans Heiraten denken wird, und nicht mehr der ungezogene Fratz, der stets auf meinem Rücken reiten wollte.«
»Das ist richtig, denn von nun an reite ich auf dem Rücken einer wundervollen Schimmelstute. Sie ist aus dem Stall des Königs, und Isabel hat sie mir geschenkt!«, berichtete Jimena, um die ungewohnte Befangenheit zu überwinden, die in ihr aufstieg.
»Kannst du sie denn schon reiten?«, erkundigte sich Ramón, der das Tier offensichtlich kannte. Er schritt langsam neben ihr her über den dunklen Hof.
»Ja, schon, aber noch nicht so gut wie Isabel ihren prächtigen Rapphengst«, gab Jimena widerstrebend zu. »Aber ich werde es schnell lernen!«, fügte sie hinzu und setzte eine so entschlossene Miene auf, dass Ramón lachte.
»Das glaube ich sofort, wenn du noch den gleichen Dickkopf hast, mit dem du schon als Kind alles durchzusetzen wusstest. Und damit das auch so schnell geht, wie du dir das erhoffst, biete ich dir gern meine Hilfe an. Ich gelte als ein guter Reiter, und du darfst dich getrost in meine Hände geben.«
Jimena freute sich über sein Angebot, war aber nicht ganz sicher, ob sie es annehmen wollte. Einerseits gefiel ihr die Vorstellung, dass er seine kostbare freie Zeit mit ihr verbringen wollte, anderseits hätte sie gern erst den stolzen, sicheren Sitz erlernt, den Isabel so wundervoll beherrschte, ehe sie sich ihm noch einmal auf einem Pferderücken präsentierte.
Warum?
Er sollte von ihr beeindruckt sein!
Sie war von ihrem eigenen Wunsch überrascht. So ein dummer Gedanke! Ramón war nur ihr Cousin.
»Also gut, dann ist das abgemacht«, sagte sie und reichte ihm die Hand, um den Vertrag zu besiegeln. »Du bringst mir das Reiten bei, bis alle sagen, ich könne noch besser reiten als Isabel.«
Wieder lachte er auf. »Was für ein frommer Wunsch, liebe Cousine. Du willst die Schwester des Königs übertrumpfen? Mit so etwas sollte man stets vorsichtig sein. Man kann sich schneller Feinde schaffen, als man sich umsehen kann. Und wehe, man ist erst einmal in Ungnade gefallen! Merke es dir gut, meine liebe Kleine: Königliche Hoheiten mögen nichts weniger, als von anderen übertrumpft zu werden.«
»Isabel ist nicht so!«, rief Jimena überzeugt.
Ramón hob nur die Augenbrauen.
»Du glaubst mir nicht? Sie ist nicht nur klug, sie ist auch gerecht und niemals launisch. Und das liegt nicht daran, dass noch keiner weiß, dass sie einst auf König Enriques Thron sitzen wird. Sie wird eine große Königin sein, weise und gerecht!«, fügte sie in ihrem Überschwang hinzu. Sie hielt erst inne, als sie Ramóns Gesichtsausdruck sah. Jimena biss sich auf die Lippen. Zu spät. Wieder einmal war ihre Zunge mit ihr durchgegangen, obwohl sie sich schon so oft vorgenommen hatte, immer erst nachzudenken, ehe sie sprach.
Dieses Mal griff Ramón nach ihren Händen, doch es war alles andere als zart.
»Wie kommst du auf solch einen Gedanken? Hat Isabel das gesagt oder einer ihrer Vertrauten?«
»Nein, nein«, wehrte Jimena ab. »Das würde sie nie tun. Sie verschwendet keinen Gedanken daran.«
»Aber irgendwie musst du doch auf den Einfall gekommen sein. Hast du ein Gespräch mit angehört?«
»Nein!«, stieß Jimena hervor und entwand ihm ihre schmerzenden Hände.
Ich habe es selbst gesehen. Isabel wird nach ihrem Bruder den Thron von Kastilien besteigen, hätte sie sagen können, doch das tat sie nicht. Er hätte ihr vermutlich eh nicht geglaubt, obwohl er doch von seiner Mutter hätte wissen müssen, dass es Frauen in ihrer Familie gab, die über ungewöhnliche Gaben verfügten.
Ramón ließ nicht locker. »Gibt es hier im Palast noch eine Verschwörung, die Isabel auf den Thron bringen will?«
»Nein! Vergiss einfach, was ich gesagt habe«, sagte Jimena fest, dann drehte sie sich um, raffte ihre Röcke und lief die Treppe hinauf, die sie eben erst heruntergekommen war. Ramón folgte ihr nicht. Er sah ihr nur nach, bis sie seinen Blicken entschwand.
Erst später, als Jimena in ihrem Bett lag, kam ihr Ramóns letzter Satz wieder in den Sinn:
Gibt es hier im Palast noch eine Verschwörung?
Hatte er es so gemeint, wie er es gesagt hatte? Noch eine Verschwörung? Jimena lauschte in sich hinein, doch es
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