Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
das nichts mit ihr zu tun hatte. Vermutlich sah die Frau ihr nicht einmal ähnlich. Sie hatte sich da in etwas hineingesteigert. Doch solange sie sich Gedanken über das Bild machte, musste sie wenigstens nicht an Justus denken und darüber, was dieses unsägliche Telefonat für sie und ihre Ehe bedeutete.
So saß sie da und brütete vor sich hin, bis sie kurz nach Mitternacht Schritte im Gang draußen hörte und den Klang des Schlüssels im Schloss. Dieses Geräusch, das sonst freudige Erwartung in ihr ausgelöst hatte, ließ sie nun wie unter Schmerzen zusammenzucken. Er trat in den Flur, legte Schlüssel und Handy in die Schale, hängte seine Jacke auf. Die Tür klappte, der Sicherheitsriegel wurde vorgeschoben. Dann hörte sie seine Schritte auf dem Weg zur Küche. Er öffnete den Kühlschrank und schenkte sich etwas zu trinken ein. Isaura hörte, wie er trank und dann das leere Glas in die Spüle stellte. Wie immer. Der Handgriff mehr, um es gleich in die Spülmaschine zu räumen, war ihm zu viel. Wie oft hatten sie sich darüber gekabbelt. Wie kindisch und sinnlos war dies jetzt geworden.
Die Schritte wieder im Flur, bis sie unvermittelt verharrten, vermutlich als er den Lichtschein im Wohnzimmer entdeckte. Überlegte er nun, lieber gleich ins Bett zu gehen und sich zumindest heute Nacht vor der drohenden Aussprache zu drücken? Oder sollte er es doch lieber hinter sich bringen? Dass er überhaupt in Erwägung zog, sich gleich in sein Bett zurückzuziehen und zu schlafen, war unfassbar. Isaura jedenfalls würde kein Auge zumachen können. Männer dagegen schafften es irgendwie, häusliche Probleme zumindest für einige Zeit beiseitezuschieben und in Ruhe zu schlafen.
Isaura stand langsam auf und ging auf die Tür zu, blieb aber, ehe sie sie erreichte, mitten im Zimmer stehen. Er verharrte noch immer vor der geschlossenen Wohnzimmertür. Hatte er die Hand bereits auf der Klinke und suchte nach einem Ausweg, um dem Unvermeidbaren zu entgehen? Isaura wusste, dass Justus Beziehungsaussprachen hasste und sie mied wie der Teufel das Weihwasser, doch wie sollte sie ihm diese ersparen? Erwartete er etwa, dass sie darüber hinwegsah und so weitermachen würde wie vorher? Nein, so etwas konnte nicht einmal er denken.
Die Klinke senkte sich, und die Tür glitt langsam auf. Justus machte einen halbherzigen Schritt, sodass er genau im Türrahmen stand.
»Oh, du bist noch wach«, sagte er leise und versuchte sich an einem überraschten Tonfall.
Wenn es nicht so traurig wäre, würde sie lachen. Hatte er wirklich gehofft, sie würde seinen Anweisungen folgen und zu Bett gehen?
Sie starrte ihn nur stumm an. Es war an ihm, sich zu erklären.
Nervös trat Justus von einem Fuß auf den anderen. Seine Verlegenheit ließ ihn zehn Jahre jünger erscheinen. Isaura betrachtete ihren Mann, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Justus war groß, gut gebaut und noch immer schlank. Sein regelmäßiges Tennistraining und das Joggen zahlten sich aus. Fünfunddreißig Jahre war er jetzt alt, auch wenn er gerade nicht so wirkte. Sein blondes Haar war dicht und leicht gewellt, seine Augen von tiefem Blau, Gesicht und Arme meist leicht gebräunt. Ja, ein attraktiver Mann, dessen charmantes Lächeln viele Jahre nur ihr gegolten hatte. Hatte sie es als zu selbstverständlich hingenommen? Hatte sie sich nicht genug um ihre Ehe bemüht? Alle ihre Fragen mündeten in einem einzigen Wort:
Warum?
»Es ist spät. Wir sollten ins Bett gehen. Was immer du besprechen willst, das hat auch Zeit bis morgen.« Er machte Anstalten, sich zurückzuziehen.
»Wer ist sie?«, brach es aus Isaura heraus.
Justus wiegelte halbherzig ab. »Eine Kollegin, Sandy. Es tut mir leid. Das hätte sie nicht tun sollen. Sie hat wohl zu viel getrunken.«
»Das ist nicht die Frage«, fiel ihm Isaura ins Wort. »Ist sie nur deine Kollegin oder deine Geliebte?«
Er rang um Worte, was streng genommen bereits die Antwort war. Isaura spürte, wie ihre Knie weich wurden, doch sie wollte keine Schwäche zeigen. Sie konzentrierte sich auf ihren Zorn. Zwei weitere Weingläser kippten um und zer barsten. Die Scherben mischten sich unter die anderen, die Isaura nicht weggekehrt hatte. Sie kniff die Augen zusammen und atmete tief durch, um ihre Stimme fest klingen zu lassen.
»Ist es etwas Ernstes?«, fragte sie. »Geht das schon länger?«
Wieder brachte er kein Wort heraus und sah sie stattdessen an, als sei er derjenige, dem man böses Unrecht getan und den man bis tief
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