Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Schultern. »Ich soll für eine umfangreiche Reportage recherchieren, und außerdem habe ich irgendetwas von einer Großtante geerbt und soll dort einen Anwalt aufsuchen.« Sie machte eine Pause, ehe sie hinzufügte: »Ursprünglich dachte ich, wir fahren zusammen und nehmen uns einige Tage nur für uns. Ich dachte, das würde unserer Beziehung guttun. Na ja, vielleicht war ich mit diesem Einfall ein wenig zu spät dran.«
»So kannst du das nicht sagen«, protestierte Justus. »Ich war immer glücklich mit dir.«
»Warum dann?«
Er zuckte nur stumm mit den Achseln. »Willst du denn immer noch, dass ich mitkomme?«, erkundigte er sich schließlich, als er den kalten Kaffee geleert hatte.
Isaura hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Vielleicht ist es besser, wenn wir uns erst jeder für sich besinnen und uns klar darüber werden, was wir wirklich wollen.«
»Und dann?«
»Dann, wenn wir uns beide von ganzem Herzen für unsere Ehe entscheiden, dann können wir es noch einmal versuchen.«
War er erleichtert, dass sie ihn nicht drängte mitzukommen? Isaura wusste es nicht. Jedenfalls akzeptierte er den Vorschlag ohne Einwände und fragte nur: »Wann fliegst du?«
Isaura schob die Kaffeetasse von sich und rutschte von dem Barhocker. »Sobald ich einen Flug bekomme.«
Sie buchte für den nächsten Tag einen Flug nach Madrid und zog sich dann ins Bad zurück, fest entschlossen, es erst wieder zu verlassen, wenn der Spiegel ihr bestätigte, dass sie wie ein Mensch aussah, den nicht gleich jeder fragte, was ihr denn Schreckliches zugestoßen sei. Danach schloss sie sich in ihr Zimmer ein. Sie nahm die beiden Bücher hervor. Zuerst schlug sie das Bild der Frau auf und erwiderte so lange ihren Blick, bis es ihr vorkam, als würde sie ihr zublinzeln. Dann widmete sie sich wieder der Caminata und ihrem Leben an Königin Isabellas Seite. Sie las den ganzen Tag, bis ihr die Augen zufielen. Dann begann sie einen Koffer und ihre Reisetasche zu packen. Ein wenig wahllos stopfte sie von Sandalen und Sommerkleidern bis zum Winterpulli und derben Wanderschuhen alles in den Koffer. Sie wusste nicht, wie lange sie bleiben würde. Es war Frühling in Spanien, doch vielleicht konnte es auch dort zu dieser Jahreszeit noch kalt werden. Die Berge der zentralen Gebirgskette waren recht hoch, und selbst Segovia lag auf über eintausend Meter über dem Meeresspiegel.
Es folgten ihr Waschbeutel, das kleine Notebook, Block und Stifte, Aufnahmegerät und natürlich ihre Fotoausrüstung. Zuletzt nahm sie die Bücher zur Hand. Sie wickelte die »Caminata« fast liebevoll wieder in das Seidenpapier, das der Antiquar benutzt hatte, und legte sie in ihre Reisetasche. Dann wog sie den Bildband über Kostümgeschichte in der Hand, den sie ungefragt beim Verlag hatte mitgehen lassen. Entwendet! Noch wurde er nicht vermisst – zumindest hatte sie nichts davon gehört –, doch das war nur eine Frage der Zeit. Sie müsste das Buch vor ihrem Abflug zurückgeben. Ja, am besten es unauffällig zurückstellen, dann konnte sie sich auch die Entschuldigung sparen.
Nur noch ein Blick auf das Bild!
Isaura schlug es auf und saugte sich geradezu an dem fremden und doch so vertrauten Gesicht fest. Sie schwankte, dann schlug sie das Buch mit einem Knall zu und steckte es ebenfalls in ihre Reisetasche. Wenn sie aus Spanien zurückkehrte, war immer noch Zeit, es der Redaktion zurückzugeben. Jetzt war sie noch nicht bereit, sich von ihm zu trennen.
Kapitel 8
Valladolid, 1464
Die Gräben zwischen den mächtigen Granden zogen sich durch ganz Kastilien und bis hinunter nach Andalusien. Sie wurden immer tiefer, und schon konnte man Befürchtungen hören, die Konflikte könnten in einen Bürgerkrieg ausarten. Nicht, dass man die Jahre von Enriques Herrschaft als friedlich bezeichnen konnte. Nein, das herausragende Merkmal war eher die Willkür, mit der die adeligen Herren auf ihren Ländereien schalteten und walteten, und die Unsicherheit, der das arme Volk ausgesetzt war. Es gab niemanden, an den sie sich in ihrer Not hätten wenden können. Nicht nur, dass sie wegen der Steuern und Abgaben für ihre Herren ausbluteten; ohne die starke Hand eines Königs, der für alle die gleichen Rechte und Gesetze durchsetzte, ließ sich das eigene Recht nur noch mit Gewalt erkämpfen. Mal war es die Verzweiflung bitterer Armut, mal die Gier nach leichter Beute, jedenfalls schossen bewaffnete Banden wie Pilze aus regenfeuchtem Boden.
Dennoch tat der Adel
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