Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Villena? Ich bitte Euch, Doña Jimena, wann hat der König je ein Machtwort gesprochen und seine Meinung gegen Widerstände vertreten?«
Es klang bitter, und Jimena verstand ihn. Ja, der König war ein liebenswürdiger Mann, aber nicht mehr. Sein Bedürfnis nach Harmonie machte ihn zu einem schwachen Monarchen, den der mächtige Adel in der Hand hatte, und nun hatte dieser beschlossen, nicht nur Privilegien und höhere Renten aus ihm herauszupressen.
»Dann versprecht mir wenigstens, dass Ihr auf der Hut seid und es Euren Gegnern nicht zu leicht macht«, bat Jimena, ehe sie sich auf den Rückweg in Isabels Gemächer machte, wo sie die Freundin völlig aufgelöst vorfand.
»Was ist denn geschehen? Nun sprich doch!« Aber Isabel war nicht in der Lage, ihr zu antworten. Jimena spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Um die kühle, stets überlegte Isabel in solch tiefe Verwirrung zu stürzen, bedurfte es einiges. Sie wollte sie gerade drängen, ihr mehr zu erzählen, da stieg ein Bild vor ihr auf. Ein Junge, der sich wehrte, ein kräftiger Mann, der ihn auf ein Pferd zerrte. Männer mit Waffen auf Pferden, in dunkle Mäntel gehüllt in raschem Galopp. Sie hörte den Schrei des Knaben: Es war Alfonso!
Und sein Entführer? Mit zitternder Stimme bestätigte Isabel, was Jimena gesehen hatte.
»Juan Pacheco de Villena hat meinen Bruder Alfonso entführt! Er behauptet, ihn in Schutzhaft nehmen zu müssen, um ihn vor Don Beltrán in Sicherheit zu bringen. Ha, wie durchsichtig seine Absichten doch sind! Er will ihn als Geisel, um den künftigen König in seiner Hand zu haben, sobald Enrique diese Urkunde unterzeichnet und Juana damit enterbt. Und ich sage dir, er wird unterschreiben und sich ihrem Druck beugen!«
Dem konnte Jimena nicht widersprechen. Weder an der Schwäche des Königs noch an den finsteren Absichten des Marquis de Villena konnte auch nur der geringste Zweifel bestehen. Doch etwas anderes quälte sie. Wenn der Plan der Verschwörer aufging, dann sollte Alfonso den König beerben. Warum aber sah sie in ihren Wachträumen Isabel auf dem Thron? Und hatte nicht auch Tante Dominga gesagt, sie würde eine große Königin werden? Was also sollte mit ihrem Bruder passieren? Doch sosehr sich Jimena auch konzen trierte, sie konnte die Bilder nicht herbeizwingen. Sie ahnte tief in ihrem Herzen, dass er sterben musste, aber wann und warum?
Sie sah Isabel mit traurigem Blick an. Nein, das gehörte zu den Dingen, die sie lieber nicht erzählen wollte.
Kapitel 7
München, März 2012
Isaura wartete, bis sie am Abend daheim war, ehe sie Justus auf seinem Handy anrief. Sie hatte wieder in dem Buch der geheimnisvollen Caminata gelesen. Die Erlebnisse der jungen Jimena am spanischen Königshof hatten Isaura so gefesselt, dass sie eine Weile brauchte, um aus der Vergangenheit ins richtige Leben zurückzukehren. Sie schüttelte sich, als müsse sie einen Rest von Schläfrigkeit vertreiben, ehe sie bereit war, sich auf Justus zu konzentrieren.
Es war Freitag und schon recht spät. Vermutlich war er auf dem Rückweg. Er hatte gesagt, er würde sich melden, doch sie konnte es nicht abwarten, ihm von der unerwarteten Erbschaft zu erzählen und der Idee, mit ihm nach Spanien zu reisen. Hoffentlich konnte er so kurzfristig freinehmen. Normalerweise liebte er solche Überfälle nicht, doch Isaura hoffte, dass Spanien im Frühling ihn locken würde. Der Kälte hier entfliehen. Vielleicht mit einem offenen Wagen durch schöne Landschaften fahren. Irgendwo, wo es ihnen gefiel, anhalten und ein Picknick genießen, am Fuß einer mittelalterlichen Burg oder in einem Olivenhain. Es war ihr, als könne sie bereits spüren, wie die Sonne warm über ihre Haut strich.
Es klingelte recht lange, und sie wollte schon wieder auflegen, als Justus endlich dranging. Er klang ein wenig atemlos.
»Isa, ach, du bist es. Ich sagte dir doch, dass es spät wird.«
»Ja«, sagte sie gedehnt. »Ich wollte mich ja nur mal mel den. Was denkst du denn, wann du da sein wirst? Bist du überhaupt schon unterwegs?« Sie lauschte auf die Geräusche im Hintergrund. Unterdrücktes Lachen. Ein Klirren wie von Gläsern. »Es hört sich nicht so an, als seist du im Auto. Wo bist du denn, und wann kommst du heim?«
»Was soll das? Ich habe doch gesagt, ich melde mich. Willst du mir nachspionieren?« Er klang verärgert.
Isaura zuckte zurück. Was sollte diese Frage? Sie hatte doch nur überlegt, wann er daheim sein könnte, um mit ihm über Spanien zu
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