Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
nichts, um die Situation zu verbessern und für mehr Sicherheit im Land zu sorgen. Ganz im Gegenteil! Sie bekämpften sich gegenseitig und versuchten – jeder Clan für sich – mehr Macht und Ländereien an sich zu reißen. Eine starke königliche Hand war von den meisten nicht gewollt. Sie hatten Enrique ausbluten lassen, bis der König nur noch eine leere Hülle auf dem Thron war, und nun suchten einige nach einem anderen schwachen König, den sie an ihren Fäden tanzen lassen konnten. Nicht nur der Clan um den Marquis de Villena und Erzbischof Carrillo von Toledo beteiligte sich an dem Komplott, auch Fadriquez Enriquez, der Admiral von Kastilien, dessen Tochter mit dem machtbesessenen alten Juan II. auf dem benachbarten aragonischen Thron saß, war mit von der Partie.
Vorerst aber saß der König noch auf dem Thron, aber so, wie es aussah, hatte der Marquis de Villena mit der Geisel in seiner Hand den besten Stich gemacht. Er riss das Amt des Großmeisters des mächtigen Ritterordens von Santiago an sich, während der ihm verhasste Graf von Ledesma sich auf seinen Gütern in Sicherheit brachte. Immerhin nahm der König dem verräterischen Admiral Valladolid ab und siedelte mit dem Hof in den dortigen Palast um, der mitten in der geschäftigen Stadt aufragte. Auch Isabel und ihre jungen Damen folgten dem König in die drei Tagesreisen nördlich von Segovia gelegene Stadt und richteten sich im Königspalast ein, der nicht ganz so prächtig und beeindruckend war wie der auf dem Felssporn über Segovia.
»Wir waren eh viel zu lange in Segovia«, verkündete der König bei ihrem ersten Mahl in Valladolid heiter.
Anders als in manch anderem Königreich, in dem sich eine Stadt des Landes als Hauptstadt und dauerhafter Königssitz aus den anderen hervorgehoben hatte, war es in Kastilien noch immer üblich, dass der König mit seinem Hof von einem Ort zum anderen zog, um sein Reich zu regieren und zu verwalten, Recht zu sprechen und Missstände bereits im Keim zu ersticken. – So zumindest lautete die Theorie.
Falls Isabel und ihre Freundinnen gehofft hatten, der König werde, nachdem er dem Admiral Valladolid genommen hatte, seinen Gegnern weiterhin die Zähne zeigen, so wurden sie enttäuscht. Enrique unterschrieb die Forderung, Juana von der Erbfolge auszuschließen, weigerte sich aber, sie als unehelich zu bezeichnen. In diesem Punkt blieb König Enrique hart: Juana sei seine leibliche Tochter! Und sie solle einst den Thron besteigen – als Gemahlin des neuen Erben Alfonso! Außerdem entschädigte er seinen Freund Don Beltrán für den Verlust des Großmeisterpostens, indem er ihn zum Herzog von Albuquerque machte, was mit dem Besitz von nicht unerheblichen Ländereien und ein paar nicht zu verachtenden Burgen verbunden war.
Juan Pacheco de Villena schäumte, obgleich er sich den Löwenanteil gesichert hatte und der Erbe sich in seinen Händen befand. Auch Erzbischof Carrillo und der Admiral waren nicht zufrieden. Sie fühlten sich von Pacheco hintergangen, der die Entführung des Thronerben vermutlich so nicht mit ihnen abgesprochen hatte. Und auch seine neue Großmeisterwürde schmeckte ihnen nicht. Sie machte ihn zu mächtig und störte das Gleichgewicht der Kräfte. Nein, die Sache war nicht wirklich glücklich für die Beteiligten verlaufen, und so zogen sie sich erst einmal zurück, hüllten sich in Schweigen und schmiedeten neue Pläne.
»Was wird als Nächstes passieren?«, fragte Isabel, ohne von jemand Bestimmtes eine Antwort zu erwarten. Sie hatte sich vorerst mit der Lage abgefunden, und da sie zumindest nicht um das Leben ihres Bruders fürchten musste, konzentrierte sie sich darauf, die Schritte der Akteure genau zu beobachten. Jimena kam nicht umhin, ihren scharfen Verstand zu bewundern, mit dem sie ihre Schlüsse zog.
Doch nicht alle Granden waren auf der Seite des Grafen von Villena und für Alfonso als neuen Thronerben. Auch Juana hatte auf ihrer Seite Streiter, die in ihrer Enterbung einen Staatsstreich sahen. Wenn der König sie als sein leibliches Kind anerkannte, nun, dann war sie auch die rechtmäßige Erbin, und niemand durfte sich darüber hinwegsetzen!
Die Mächtigsten, die auf ein stabiles Herrscherhaus pochten, waren die Granden vom Clan der Mendoza, allen voran der Marquis de Santillana. Sein vierter Sohn, Pedro Gonzáles de Mendoza, Erzbischof von Sigüenza, eilte zum König, um ihm den Rücken zu stärken, oder auch um zu verhindern, dass Enrique leichtfertig noch mehr
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