Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Dokumente unterzeichnete, die Juan Pacheco de Villena ihm vorlegte, der auch in den Augen der Mendozas viel zu mächtig geworden war – vor allem jetzt als Großmeister des Santiago-Ordens. Dieser Ritterorden war nicht nur der mächtigste im Land mit den meisten Ländereien und dem größten Vermögen. Der Großmeister verfügte über ein eigenes Heer gut bewaffneter und hervorragend ausgebildeter Ritter, meist jüngere Söhne adliger Herren, denen es nicht an Mut fehlte. Das war gefährlich! Sehr gefährlich!
Jimena lernte den Kirchenmann vom mächtigen Clan der Mendoza durch Zufall kennen, als sie unvermittelt aus einer Tür trat und mit dem Erzbischof zusammenstieß. Sie war so tief in Gedanken gewesen, dass sie einen Schrei ausstieß und vermutlich gestürzt wäre, hätte er sie nicht aufgefangen.
Sie erkannte ihn erst, als er sie losließ, einen Schritt zurücktrat und sich vor ihr verbeugte. »Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich hoffe, Ihr seid unversehrt, Doña?«
»Jimena de Morón«, stellte sie sich vor. »Danke der Nachfrage, Exzellenz. Es ist wohl eher an mir, mich zu entschuldigen. Ich war zu sehr in meinen Gedanken versunken und habe nicht achtgegeben.«
Als Erstes fiel ihr seine Stimme auf. Der Bischof hatte eine wundervolle tiefe, samtige Stimme, mit der er seine Gläubigen zweifellos in seinen Bann zog, wenn er sich noch dazu herabließ, selbst die Messe zu lesen und das nicht seinen Kaplänen überließ, wie so viele mächtige Kirchenmänner. Darüber gab sich Jimena keiner Illusion hin. Wer in der Kirchenhierarchie aufgestiegen war oder – was wahrscheinlicher war – aufgrund seines Namens und des Einflusses seiner Familie einen hohen Posten übernommen hatte, den kümmerten die Sorgen und das Seelenheil der kleinen Leute nicht.
Was sie davon hielt, hatte sie ihren Freundinnen mehr als einmal voller Verachtung gesagt, doch der Bischof, der ihr jetzt gegenüberstand und sie noch immer aufmerksam ansah, gefiel ihr wider Willen. Und das lag nicht nur an seiner einnehmenden Stimme! Auch sein Äußeres und sein angenehm höfliches Auftreten taten das ihre dazu. Jimena betrachtete ihn mit Wohlgefallen. Er mochte zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt sein, hatte angenehm markante Züge und einen offenen Blick, in dem sie keine Verschlagenheit finden konnte wie bei dem Marquis de Villena, und auch nicht das inzwischen fast krankhafte Machtstreben, das Erzbischof Carrillo ausstrahlte, wobei auch Erzbischof Mendoza der Ehrgeiz nicht fremd war. Sie konnte spüren, dass er Großes erreichen wollte und auch erreichen würde.
»Seid Ihr auf dem Weg in den großen Saal, Doña Jimena? Dann darf ich Euch meine Begleitung antragen?« Der Bischof bot ihr den Arm, und nach einem kurzen Zögern legte sie ihre Hand auf den seidigen Stoff seines Ärmels, um neben ihm die Treppe in den Hof hinunterzuschreiten. Sie konnte beruhigt mit ihm gehen. Er würde die Gunst der Stunde nicht für unzüchtige Angebote ausnützen, das konnte sie spüren, obwohl er sicher kein Mann war, der die Gesellschaft des weiblichen Geschlechts nicht schätzte. Überhaupt war er ein gut aussehender Mann mit kräftigen Armen und vermutlich auch Beinen, den sie sich fast besser mit dem Schwert in der Hand auf einem Streitross vorstellen konnte als an einem Altar. Er gehörte jedenfalls nicht zu den vollgefressenen, fetten Kirchenleuten, die sich in einer Sänfte durch die Gassen tragen ließen. Aber er war auch kein Asket, der die Freuden des Lebens verachtete – auch nicht die, die die Kirche ihm eigentlich verwehrte. Dennoch war er ein Mann von Ehre, und Jimena war überzeugt, dass er seine Macht nicht missbrauchen würde, um sich eine Frau gefügig zu machen. Nein, er konnte vermutlich unter so vielen wählen, dass er so etwas nicht nötig hatte.
So plauderten sie über Nichtigkeiten, während er sie zur großen Halle führte. Durch die weit geöffneten Flügeltüren konnte Jimena sehen, dass der König und die meisten seiner Gefolgsleute, die ihn nach Valladolid begleitet hatten, bereits an der Tafel Platz genommen hatten und die ersten Speisen aufgetragen wurden.
»Der König wird es uns nicht verübeln, dass wir zu spät kommen«, sagte Erzbischof Mendoza mit einem Lächeln.
»Der König nimmt nie jemandem etwas übel«, erwiderte Jimena düster und schnitt eine Grimasse.
Der Bischof sah sie ein wenig erstaunt von der Seite an. »Ihr scheint das zu bedauern? Ist das nicht eine Tugend?«
»Vielleicht, aber
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