Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
keine, die einem König gut bekommt«, entgegnete sie, obgleich sie nicht wusste, ob es klug war, mit dem Kirchenmann, den sie doch gar nicht kannte, so offen zu sprechen.
»Die Granden tanzen ihm auf der Nase herum, verraten und verleumden ihn, doch der König will nur Frieden und Harmonie und wirft dafür seinen Feinden noch Geld und Güter hinterher.«
»Frieden und Harmonie«, wiederholte der Bischof und ließ die Worte nachklingen. »Was für schöne und seltene Güter in dieser Welt, Doña Jimena. Haltet Ihr sie nicht auch für erstrebenswert?«
»Aber natürlich, Exzellenz, doch die Harmonie, die der König sich durch Geld und Nachgiebigkeit erkauft, steht auf tönernen Füßen und ist nur Blendwerk, wenn dafür draußen im Land Gewalt und Willkür immer heftiger um sich greifen, weil sich die hohen Herren mit ihren Gefolgsleuten gegenseitig zerfleischen. Der König müsste ein Machtwort sprechen und dem Einhalt gebieten, statt zu lächeln und jedem Streit auszuweichen!«
Unvermittelt blieb der Bischof stehen. Er griff Jimena an die Schulter und drehte sie zu sich herum, sodass das Licht der Fackeln an den Wänden auf ihr Gesicht fiel. Ernst erwiderte sie den Blick des Kirchenmannes. Schließlich sagte er:
»Wie erstaunlich! Einen solch scharfen Verstand und so viel Weitsicht und politisches Verständnis im Kopf einer so jungen Dame zu finden. Doña Jimena, ich glaube, es ist gut, sich Euren Namen zu merken. Es würde mich freuen, wenn wir uns noch öfter begegnen.«
»Das werden wir«, platzte sie heraus. Als sie sah, wie er die Brauen hob, fügte sie rasch hinzu: »Ihr bleibt doch noch eine Weile in Valladolid, nicht wahr?«
Der Bischof wiegte den Kopf. »Das kommt darauf an. Auch ich sehe die Entwicklung mit Sorge und würde gern sehen, dass diese verschwörerische Farce bald ein Ende hat. Dass der König endlich zur Vernunft kommt und die, die sein Vertrauen nicht verdient haben, in ihre Schranken weist. Doch ich weiß nicht, ob ich die Hoffnung hegen kann, dass sich alles zum Guten wenden und die Infantin Juana zu ihrem Recht kommen wird.«
Dieses Mal war Jimena auf der Hut und sagte ihm nicht, dass zwar eine Frau König Enriques Thron erben, doch dass es nicht Juana sein würde – sei sie nun seine leibliche Tochter oder nicht.
Zu Jimenas großer Freude war auch Ramón mit nach Valladolid gekommen. Er wartete am zweiten Morgen nach dem Frühmahl auf sie und bot an, die jungen Damen durch die Stadt zu begleiten, falls ihnen der Sinn danach stünde, Valladolid kennenzulernen.
Beatriz klatschte begeistert in die Hände, und auch Isabel hatte nichts dagegen einzuwenden. Jimena strahlte ihn an.
»Was für ein wundervoller Gedanke.«
Die jungen Damen hüllten sich in ihre warmen Umhänge, um sich vor dem feuchten, kalten Wind zu schützen, der vom Río Pisuerga herüberwehte. Jimena hakte sich bei ihrem Cousin unter und ging mit ihm voran, während sich Isabel und Beatriz immer wieder ein wenig zurückfallen ließen. Teresa war wie immer der stumme Schatten an Jimenas Seite. Sie war so selbstverständlich neben ihr, dass sie sie beinahe vergaß. Jimena fühlte ihr schlechtes Gewissen und schenkte dem Mädchen ein Lächeln, das es dankbar erwiderte. Dann aber zog die fremde Stadt ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Was für ein geschäftiger Ort, dachte Jimena. So viele Menschen und Karren zogen durch die Gassen. Ein buntes Gewirr von Gewändern, ein Gemisch aus Einheimischen und Fremden. Dort leuchtete ein Turban aus der Menge, da eilte ein Jude in seinem schwarzen Gewand vorbei, einige Bettelmönche in ihren Kutten aus ungebleichter Wolle querten die Straße. Die Mädchen mussten einer Sänfte ausweichen, hinter deren Vorhängen eine hohe Dame oder ein mächtiger Herr verborgen saß. Zwei Reiter in Rüstungen und Waffenröcken, das Schwert an der Seite, preschten auf ihren Streitrössern die Straße entlang, doch Jimena kannte die Wappen auf den Schabracken nicht. Vielleicht waren sie auf dem Weg zum König, oder sie gehörten zu einem der Granden, die in Valladolid einen Stadtpalast besaßen. Überhaupt wurde dies zu einer Mode, die mehr und mehr um sich griff. Immer mehr Granden begannen, sich neben ihren wehrhaften Burgen draußen auf den Landgütern Stadtpaläste bauen zu lassen, die durch ihre Pracht und ihren Luxus die Stellung der Adelsfamilie verdeutlichten. In diesen neuen Bauwerken ließ es sich viel bequemer leben als in den alten, zugigen Gemäuern, die oft noch aus der Zeit
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