Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
schüttelte stumm den Kopf, denn sie war sich nicht sicher, was ihr Mund sagen würde, wenn sie ihm erlaubte, sich zu öffnen.
Mit sanfter Gewalt öffnete er ihre Faust und hob ihre Hand, als wolle er sie sich näher betrachten.
»Eine so zarte Hand sollte sich nicht zur Faust schließen. Das ist Aufgabe unserer groben Männerhände.« Er hob ihre Hand noch ein Stückchen höher, dann küsste er ihre Handfläche und jede ihrer Fingerspitzen. Jimena erschauderte, und ein schwaches Stöhnen entschlüpfte ihren zusammengepressten Lippen.
»Zürne mir nicht«, sagte er kaum hörbar und klang dabei so unglaublich traurig. »Ich bin ein Narr, doch wenn mein Blick wachsam und mit Eifersucht jedem deiner Schritte folgt, dann ist es nicht der des Bruders, der ich für dich sein sollte. Verzeih mir, Jimena, und übe Nachsicht, denn es gelingt mir nicht mehr, diese Gefühle zu verjagen.«
Er spürte, wie sie zu zittern begann. Erschrocken ließ er ihre Hand los.
»Nein, nein, ich schwöre dir, du hast nichts von mir zu befürchten. Ich bin Manns genug, über dich zu wachen und meine Ehre nie zu vergessen.«
»Du bist ein Dummkopf, Ramón«, stieß Jimena aus, ohne es zu wollen, doch er verstand nicht. Er sah sie nur fragend an. Nun war sie es, die nach seinen großen, rauen Händen griff und seine Finger zärtlich küsste.
»Jimena«, stotterte er. Dann zog er sie in die Arme und presste sie mit einer Kraft an seine Brust, dass ihr der Atem stockte. So hielt er sie, bis sie glaubte, ersticken zu müssen, doch dann schob er sie von sich. Er beugte sich herab und verschlang ihr Gesicht mit seinem Blick, ehe sich seine Lippen auf die ihren senkten.
War seine Umarmung stürmisch und kraftvoll gewesen, so war der erste Kuss zärtlich, ja beinahe schüchtern. Zumindest begann er so, bis Jimena ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn an sich zog.
Kapitel 12
Ávila, 1468
Jimenas Ahnungen trogen sie nicht. Der Marquis de Villena und Erzbischof Carrillo wussten auch ohne eine Eheschließung ihren Einfluss auf den König zu verstärken. Nur wenige Monate nachdem der Tod Bräutigam Don Pedro dahingerafft hatte, eröffnete der Erzbischof Isabel mit einem triumphierenden Lächeln, er freue sich, sie von nun an ebenfalls an seinem Hof in Ávila begrüßen zu dürfen.
Isabel winkte ab. »Ich habe nicht vor, Euch mit meiner Anwesenheit zu belästigen«, sagte sie kühl.
Das Lächeln des Erzbischofs wurde breiter. »Aber nein, verehrte Isabel, wie könntet Ihr mir lästig fallen? Außerdem werden mich meine Pflichten häufig nach Toledo rufen, sodass wir uns nicht allzu oft persönlich sehen können.«
Isabel wollte sich abwenden, doch er griff nach ihrem Arm und hielt sie auf. Ohne sich um das zornige Funkeln in ihren Augen zu kümmern, fuhr er mit honigsüßer Stimme fort:
»Der König ist ebenfalls der Meinung, es wäre gut, wenn ich Euch in diesen unsicheren Zeiten in meine Obhut nähme. Und solange mich meine Pflichten von Euch fernhalten, wird mein verehrter Neffe, der Marquis von Villena, sich um Euer Wohl kümmern.«
Jimena konnte sehen, wie es Isabel bei diesem Namen schauderte.
»Gebt Euch keine Mühe«, sagte sie kalt, obgleich die Wut die Oberhand zu gewinnen drohte. »Ich werde mit meinem Bruder Enrique sprechen und dieses Missverständnis aufklären.«
Sie riss sich los und stolzierte davon. Doch in diesem Punkt blieb der König unnachgiebig und wollte nicht einsehen, wie falsch sein Schritt war. Natürlich stimmte es ihn unglücklich, seine Schwester zu verärgern, dennoch musste sie ihre Truhen packen lassen und mit ihrem kleinen Gefolge in den Palast nach Ávila ziehen. Ihr einziger Trost war, dass sie ihren Bruder Alfonso dort wiedersah.
Zu Jimenas großer Freude bat Ramón den König, die Damen begleiten zu dürfen, und Enrique gewährte die Bitte. Natürlich schickte er seiner Halbschwester noch ein Dutzend Bewaffnete, einige seiner Höflinge und ein paar der Damen mit, sodass sie mit einem kleinen Hofstaat in Ávila eintraf, wie es für eine Infantin aus dem Hause Trastámara angemessen war.
Der Erzbischof, der sie persönlich empfing, sagte nichts dazu. Er wies ihr nur einen der Seitenflügel zu, in dem auch ihr Bruder mit seinen Lehrern und seinen Dienern wohnte. Dann reiste er ab, und der Marquis von Villena übernahm im Palast das Zepter.
Jimena konnte ihm nicht vorwerfen, die Infanten oder ihr Gefolge schlecht zu behandeln, dennoch wurden die Worte, die er an sie richtete, stets von einer
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