Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
hatte sie so viel getrunken?
Wenn es ihr nur gelingen könnte, die Augen zu öffnen. Dann wäre der Spuk vorbei.
Sie folgte der Frau im schwarzen Gewand. Plötzlich blieb sie stehen. Von irgendwoher strich der Schein einer Lampe oder Kerze über sie. Sie drehte sich um und sagte irgendetwas, das Isaura nicht verstand. Ihr Blick glitt vom Gesicht der Frau hinab zu ihrem Hals, um den ein wunderschönes Geschmeide hing: ein goldenes Collier aus zwei Reihen Perlen und Rubinen, an denen tropfenförmige Perlen befestigt waren.
Isaura stöhnte und riss die Augen auf. Ihr Blick saugte sich an dem Schmuckstück vor sich fest. Es war genau dasselbe, wie es die Frau in ihrem Traum trug. Die dunkle Königin, wie sie sie inzwischen nannte. Sie konnte es nicht fassen.
»Das kann nicht sein«, sagte sie fest und sah den Kater an, der aufrecht auf dem Tisch saß. Seine Schwanzspitze zuckte unruhig hin und her.
»Dafür muss es eine Erklärung geben!«
Isaura kaute auf ihrer Lippe, ohne einen Blick von der Kette zu wenden. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie in einem ihrer früheren Träume diese Kette schon einmal bemerkt hatte. Sie war sich nicht sicher. Die Frau in Schwarz hatte Schmuck getragen, ja, aber diesen?
Isaura atmete geräuschvoll aus. Natürlich. Sie hatte das Collier gesehen und sich an die Zeit erinnert gefühlt, aus der die Gestalt ihrer Träume stammte, und dann hatte ihr Unterbewusstsein ihr einen Streich gespielt und die Traumgestalt mit diesem Schmuck ausgestattet. So einfach war das!
»Nicht wahr?«, fragte sie den Kater. »Es lässt sich alles ganz natürlich erklären.«
Der Kater maunzte und schlug weiter unwillig mit dem Schwanz, während Isaura wie verzaubert mit den Fingerspitzen über die Perlen und die makellosen Rubine strich. Das Collier war ihr so lieb, so vertraut, als habe sie es lange vermisst, und nun endlich war es zu ihr zurückgekehrt.
Blödsinn! Als ob sie jemals solch einen Schatz besessen hätte.
Plötzlich zuckte sie zurück und sprang auf, als habe sie der Schlag getroffen. Der Kater erschrak und sprang mit einem Fauchen vom Tisch. Ja, sie hatte diesen Schmuck schon einmal gesehen. Oder narrte sie jetzt ihre Erinnerung?
Isaura hetzte in den Windfang hinaus, wo noch immer ihr kleiner Koffer und die Reisetasche standen. Sie kniete sich nieder und öffnete mit zitternden Händen den Reißverschluss der Tasche. Fieberhaft wühlte sie in ihren Sachen, bis sie das Buch zu fassen bekam.
Ein Hauch von schlechtem Gewissen erfasste sie, als sie das aus der Bibliothek des Verlags entwendete Buch hervorzog und damit in die Küche zurücklief. Mit zitternden Händen legte sie es auf den Tisch und schlug die Seite auf, die sie bereits viele Stunden betrachtet hatte. Die Frau mit den traurigen Augen sah sie an, doch Isauras Blick glitt tiefer und blieb an dem Geschmeide hängen, das die Unbekannte um den Hals trug. Ihre Knie gaben nach, und sie sank auf die Eckbank. Dort verharrte sie wie zur Salzsäule erstarrt, den Blick auf das Collier gerichtet, das die Frau auf dem Gemälde um den Hals trug. Der Kater sprang wieder auf den Tisch und setzte sich neben das Buch. Auch er schien das Bild zu betrachten. Dann erhob er sich und tippelte zu der Schmuckschachtel hinüber. Er berührte die wertvolle Kette mit der Nase und begann zu schnurren.
»Du meinst auch, dass es dieselbe ist? Aber wie könnte das sein?«
Sie überlegte. Nun ja, wenn es so alt war, dann war es schon möglich, dass es diese unbekannte – vermutlich adelige – Dame im sechzehnten Jahrhundert getragen hatte, und danach musste es irgendwie in den Besitz der Familie gelangt sein. War diese Frau auf dem Gemälde etwa eine ihrer Ahninnen? Kam daher die Ähnlichkeit, die Sven festgestellt hatte und die auch Isaura nur schwer leugnen konnte? Das wäre eine Erklärung. Immerhin wusste sie nun, dass die Wurzeln seitens ihrer Mutter in Spanien zu suchen waren.
Ja, das war eine Möglichkeit. Nicht wahrscheinlich, aber doch immerhin möglich.
»Oder jemand kannte dieses Bild und hat den Schmuck nur kopiert«, sagte sie laut, worauf der Kater maunzend protestierte. Isaura lachte. Die Anspannung fiel von ihr ab.
»Ach, diese Idee gefällt dir nicht? Findest du es spannender, wenn wir annehmen, dass dieses Geschmeide über Generationen in unserer Familie weitergegeben wurde, nur um heute in meine Hände überzugehen?«
Der Kater kam zu ihr und stieß mit seinem Kopf gegen ihren Arm. Laut schnurrend rieb er sich an ihrem Ärmel und
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