Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
immer mehr Anhänger gewann. Zwar wechselten einige der wichtigen Adelsfamilien wieder einmal die Fronten, dennoch sprach auch in Ocaña manch Mann von Adel vor, wie Gonzalez de Chacón oder Gutierre de Cárdenas, um Isabel seiner Gefolgschaft zu versichern. Auch Juan de Vivero, den sie bereits in seinem Haus in Valladolid kennengelernt hatten, kam nach Ocaña. Allen gemein war allerdings, dass sie nicht zu den mächtigen Granden gehörten. Der einzige Grande, den Carrillo eines Tages mitbrachte, war der Admiral von Kastilien, Fadriquez Enriquez, dessen Tochter Joana mit König Juan II . von Aragón verheiratet war.
Als sie zum Saal hinuntergingen, um den Gast zu begrüßen, flüsterte Don Angelo, der noch immer mit Isabels Gefolge reiste, Jimena und Beatriz zu:
»Ich sage Euch, wenn es eine Frau auf dieser Welt gibt, die es in ihrer Machtgier und ihrer Skrupellosigkeit mit dem Marquis von Villena aufnehmen kann, dann ist es Joana, die Tochter des Admirals. Hierin passt sie ganz wundervoll zu ihrem Gemahl«, lästerte der Don weiter, den es offensichtlich nicht störte, dass ein Teil seiner Familie wieder einmal die Fronten gewechselt hatte und nun dem Marquis de Villena die Treue hielt. »Der alte Juan ist bestimmt schon siebzig und fast blind, doch jeder fürchtet sich vor seinem aufbrausenden Zorn, und keiner wagt es je, ihm zu widersprechen.«
»Er ist nicht nur König von Aragón«, unterbrach Isabel. »Er ist auch König von Sardinien und durch seine erste Ehe ebenfalls König von Navarra. Außerdem ist er ein Trastá mara!«
»Was natürlich viel mehr zählt als sein jähzorniges Wesen«, kommentierte Beatriz und erntete dafür einen strafenden Blick.
Die Damen traten ein, und die Gäste begrüßten Isabel. Jimena betrachtete misstrauisch den Admiral, der sich so bereitwillig an den Intrigen Villenas und Carrillos gegen den König beteiligt hatte. Zu ihrer Überraschung fand sie ihn nicht so verabscheuungswürdig wie Villena. Und er weckte auch nicht ihr Misstrauen wie Carrillo, in dessen Anwesenheit ihre Sinne stets wachsamer waren. Sie traute ihm nicht und war stets auf der Hut. Man musste auf jedes seiner Worte achten und sein Mienenspiel deuten, um die Wahrheit hinter seinen oft so schmeichelnd klingenden Reden zu ergründen, denn ihm ging es, wie dem Marquis, stets um seinen eigenen Vorteil.
Das traf vermutlich auch auf den Admiral zu, wie eben auf fast jeden Adeligen Kastiliens, dennoch strahlte er etwas aus, das Jimena sympathisch war. Er war ein alter Mann, dessen gebräunte, faltige Haut von einem ereignisreichen Leben sprach. Sein Haar war weiß, und die dunklen Augen blick ten aufmerksam und klug umher. Sein Lächeln war offen und freundlich. Jimena spürte, dass auch Isabel ihn mochte. Gemeinsam mit ihm war Gutierre de Cárdenas gekommen. Zu Jimenas Enttäuschung zogen sich die Männer mit Isabel in einen anderen Raum zurück, sodass die Freundinnen nichts von dem Gespräch mitbekamen.
Es war bereits Zeit, sich für die abendliche Tafel umzukleiden, als Isabel sehr nachdenklich in ihr Gemach zurückkehrte.
»Was ist?«, erkundigte sich Beatriz neugierig. »Worum ging es? Was wurde gesprochen?«
Jimena hätte für ihre Neugier eigentlich eine Rüge erwartet; stattdessen lächelte Isabel rätselhaft.
»Oh, das Übliche«, sagte sie abwinkend. »Heiratskandidaten. Der schreckliche König Juan II. von Aragón hat einen Sohn, müsst ihr wissen.«
»Oh nein, wieder so ein hässlicher Alter?«, vermutete Beatriz, die zu rechnen begann, wie alt der Sohn dieses Siebzigjährigen wohl sein konnte.
Isabels Lächeln vertiefte sich. »Nein, du irrst. Es ist der Sohn aus seiner zweiten Ehe. Und alt ist er nicht.«
Sie zog eine Miniatur aus der Tasche und reichte sie den Freundinnen. Die drei jungen Frauen beugten sich über das zarte Bild, das das Porträt eines jungen dunkelhaarigen Mannes zeigte, der ein wenig jünger sein musste als Isabel selbst – zumindest zu dem Zeitpunkt, als das Gemälde entstanden war.
»Das ist der Sohn Juans II.?«, hakte Beatriz ein wenig ungläubig nach.
Isabel nickte. »Ja, und der Enkel des Admirals. Fernando heißt er. Und? Wie findet ihr ihn?«
»Er sieht ganz hübsch aus«, gab Beatriz gnädig zu. Jimena aber schwieg. Es durchfuhr sie wie ein Blitz. Ja, dieses Gesicht hatte sie schon einmal gesehen. In ihren Tagträumen im Haus von Juan de Vivero in Valladolid. Die Hochzeit. Das Gesicht des Bräutigams. Er war es also, der an Isabels Seite herrschen sollte.
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