Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
das Erbe steht ihr nicht zu. Du bist im Unrecht, wenn du dich auf ihre Seite stellst. Sie ist nichts weiter als eine Thronräuberin, und das weißt du auch. Juana ist die Tochter von König Enrique, und sie allein hat Anrecht auf die Krone von Kastilien!«
Jimena fühlte den Schmerz, der sie entzweite. »Ach, Ramón, es ist mir gleich, wer nun der wahre Erbe ist. Enrique hat Isabel anerkannt und Juana bereits zweimal enterbt.«
»Du weißt, wie das zugegangen ist«, unterbrach Ramón zornig. »Sie haben den König gezwungen.«
Jimena nickte. »Ja, und warum konnten sie das tun, obgleich er doch so ein friedliebender und herzensguter Mensch ist? Weil er eben gerade deswegen ein schlechter Monarch ist und Gift für sein Land, das sich immer mehr entzweit und zerfleischt. Isabel mag nun die legitime Erbin sein oder nicht, jedenfalls – das versichere ich dir – wird sie eine gute Königin sein, die das Land mit starker und gerechter Hand aus der Finsternis führen wird.«
»Das kannst du nicht wissen«, widersprach Ramón.
»Dann frage Dominga. Deine Mutter hat es ebenfalls gesehen.«
Ramón machte eine ungeduldige Handbewegung. »Auch Dominga ist nicht allwissend, und ich werde auf keinen Fall eine Thronräuberin unterstützen, die sich in allem dem König widersetzt.«
Nun wurde Jimena zornig. »Ach, nur weil sie die alten Männer nicht heiraten will, die ihr Bruder ihr vorschlägt?«
»Sie muss sich seinem Rat beugen«, beharrte Ramón.
»Nein, sie kann und muss selbst wählen, denn ich weiß, dass ihre Entscheidung überlegt und klug sein wird!«
»Dann sollte sie wenigstens zu Erzbischof Carrillo auf Distanz gehen und sich unter die Obhut des Königs begeben.«
Jimena schwieg, denn sie war sich nicht sicher, ob Isabel überhaupt die Freiheit hatte, dies zu entscheiden. Carrillo würde sie nicht einfach ziehen lassen. Er wollte seinen Einfluss auf die zukünftige Königin sichern, nachdem er dem jetzigen König den Rücken gekehrt hatte.
Ramón rückte wieder näher und nahm ihre Hände. »Komm mit mir, egal, wie Isabel sich entscheidet. Das ist ihre Sache, aber du gehörst zu mir, und wir beide dienen unserem König.«
Jimena entzog sich ihm. »Du weißt, dass ich das nicht kann. Einen Schwur darf man nicht brechen.«
»Auch nicht, wenn man damit auf der falschen Seite steht?«, widersprach er.
»Es ist die richtige Seite«, beharrte Jimena. »Und ich hoffe, dass du das bald erkennen wirst. Du wirst immer eine offene Tür finden.«
Sie erhoben sich und verließen den dunklen Garten, der mit seinen duftenden Büschen und tiefen Schatten so einladend für ein Stelldichein zweier Liebenden war, doch Ramón und Jimena berührten sich nicht, als sie nebeneinander herschritten. Es war, als baute sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen auf, die sie nicht durchdringen konnten. Schweigend passierten sie den Platz vor der Kathedrale und folgten der Stadtmauer bis zum Palast. Wieder ließen die Wachen sie eintreten, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Vor der Treppe, die zu Isabels Gemächern und denen ihres Gefolges führte, blieben sie stehen. Ramón hob den Blick, in dem Jimena Trauer, aber auch Zorn erkennen konnte.
»Es ist deine Entscheidung«, sagte er. »Ich werde warten und dich gern nach Segovia begleiten, wenn du bis dahin noch hier bist.«
Und ohne sie noch einmal zu berühren, drehte er sich um und ging davon. Jimena fühlte den Knoten in ihrer Brust, und ein fast übermächtiger Drang zu weinen stieg in ihr auf, doch sie ballte die Fäuste, und ihre Augen blieben trocken.
»Dann lebe wohl, Ramón«, hauchte sie in die Nacht. »Ich wünsche dir, dass du deine Entscheidung nicht bitter bereuen musst.«
Mit gerafften Röcken rannte sie die Treppe hinauf und versuchte jeden Gedanken aus ihrem Geist zu verbannen, der ihr flüsternd von dem erzählte, was Ramón erwartete. Nein, sie wollte es nicht erfahren, denn sie ahnte, dass sie die Gewissheit noch schwerer ertragen würde als ihre Trennung im Zorn. Sie wollte es nicht wissen, sondern sich wie jede andere verlassene Frau mit dem Balsam der Hoffnung trösten.
Kapitel 15
Ocaña, 1468
Ocaña war nicht mit Ávila zu vergleichen und auch nicht mit Segovia oder Valladolid. Jimena verstand nicht so recht, was der Erzbischof mit diesem Umzug bezweckte, außer vielleicht, dass der Ort südlich der Bergkette und damit näher bei Toledo lag, wo der Einfluss des Erzbischofs größer war als der des Königs, der unter dem Einfluss der Mendozas
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