Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
begrenzte der Konvent der Dominikaner. Jimena ging auf das Portal der Capilla de Mosén Rubí zu, unter dem eine dunkel verhüllte Gestalt auf sie wartete. Sie spürte, dass es Ramón war, und ließ sich in seine Arme ziehen. Er sagte kein Wort und küsste sie mit solcher Leidenschaft, dass auch sie jede Formulierung vergaß, die sie sich zur Begrüßung überlegt hatte. Nein, sie musste nicht in Worte fassen, wie schmerzlich sie ihn vermisst und wie sehr sie sich jede Stunde nach ihm gesehnt hatte. Ihre Körper drückten dies besser aus, als jedes Wort es hätte tun können. Jimena fühlte, wie heiße Wogen in ihr aufstiegen und verbotene Wünsche einsamer Nächte freispülten. Sein heißer Atem wurde rascher, und sie konnte seine Leidenschaft wie einen feurigen Strom durch seine Adern pulsieren sehen. Es erschreckte sie ein wenig, doch noch mehr sehnte sie sich danach, ihn zu ihrem Lager zu führen und alle Schranken niederzureißen.
Was Isabel dazu sagen würde? Oder Dominga? War sie etwa auch nicht besser als all die anderen Damen bei Hof, die ihren Leidenschaften nachgaben, wie es ihnen gerade gefiel?
Oh nein, das hier war Liebe! Die tiefe, ewig währende Liebe, die man nur einmal in seinem Leben empfand. Keine flüchtige Lust, kein Zeitvertreib, kein Spiel der Macht, auf das man sich für ein begehrtes Geschmeide oder für irgendwelche Gefälligkeiten einließ.
Und dennoch war es eine verbotene Liebe, die nicht von Gott gesegnet war und die es ohne einen Dispens des Papstes auch nicht werden würde. Ihre Verwandtschaft war zu nah, als dass sie einfach zum Altar hätten schreiten können.
Jimena hätte ihn von sich stoßen und ihn darauf hinweisen müssen. Stattdessen presste sie sich noch enger an ihn und erwiderte seine Küsse mit gleichem Hunger. Endlich lösten sie sich voneinander, und beide brauchten ein wenig Zeit, um zu Atem zu kommen.
»Wie geht es dir?«, fragte Jimena, während sie sich an ihn schmiegte. »Was hast du all die Zeit getan? Die vielen Monate, die mir Tag für Tag zur Ewigkeit wurden.«
»Ja, eine Ewigkeit der Einsamkeit folgte der anderen«, antwortete Ramón, während er zärtlich über ihre Wangen und ihren Hals strich.
»Ich habe Tag für Tag an dich gedacht und mich nach dir gesehnt, während meine Hand das Schwert des Königs führte und mein Leib seine Pferde ritt, mein Arm seine Beute für ihn jagte und mein Mund Nachrichten überbrachte. Doch nichts davon war wichtig. Nichts brachte Freude in mein Herz, solange du von mir getrennt sein musstest.«
Wieder zog er sie an sich und küsste sie.
»Ich habe jede Nacht von dir geträumt. Nur die Erinnerung an unsere Küsse hat mich durch den Tag gebracht.«
Das Portal der Kapelle öffnete sich, und ein Dominikanermönch trat heraus. Die beiden fuhren schuldbewusst auseinander, doch der Mönch beachtete sie gar nicht. Er schritt in seinem weißen Habit und dem ebenso weißen Skapulier an ihnen vorbei, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ein wenig verlegen sahen die beiden erwischten Sünder einander an.
»Lass uns ein Stück gehen«, sagte Ramón leise und griff nach ihrer Hand. Schweigend gingen sie durch die nun dunklen Gassen, bis er Jimena in einen versteckten Garten führte, dessen Büsche bis an die Stadtmauer reichten. Hier zog er sie auf eine verwitterte Bank und küsste sie wieder. Dann schob er sie von sich und sah sie ernst an.
»Wir müssen zum Palast zurück. Du solltest deine Sachen packen, denn wir werden morgen in aller Frühe abreisen.«
Jimena nickte. »Aber ja, der Erzbischof hat es uns bereits gesagt.«
Ramón runzelte verwirrt die Stirn. »Was hat er gesagt?«
»Dass Isabel nach Ocaña gehen wird, wobei ich noch immer nicht verstehe, warum. Kann dieser Ort sicherer sein als ein Palast hinter den Mauern Ávilas?«
Ramón schüttelte den Kopf, doch das bezog sich nicht auf die Sicherheit des Palasts.
»Nein, du verstehst nicht. Ich bin gekommen, um dich zu holen. Es ist nicht von Belang, ob Isabel hierbleibt oder irgendwo sonst hingeht. Du musst sie verlassen und mit mir kommen.«
Jimena rückte von ihm ab und sah ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Ich soll Isabel verlassen? Das ist doch wohl ein Scherz! Ich habe Isabel meine Treue geschworen und werde diesen Schwur niemals brechen. Ich diene Isabel, der großen Königin von Kastilien, und ich bin bereit, mein Leben für sie zu geben!«
»Königin von Kastilien?«, wiederholte Ramón mit düsterer Stimme. »Das wird sie nicht werden, denn
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