Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
die Hände.
Ich habe ihr vertraut. Sie ist meine Schwester, klagte er, dann sah er dem Marquis de Villena in die Augen. Er straffte den Rücken. Seine Stimme war zwar leise, doch Jimena konnte jedes Wort verstehen.
Tut, was Ihr für notwendig haltet, Marquis. Doch gebt acht, dass meine Schwester wohlbehalten an meinem Hof eintrifft.
Jimena riss die Augen auf. Sie war mit einem Mal hellwach. Was war das gewesen? Nur ein Traum? Oder hatte sie wirklich eine Reise über die Berge nach Norden gemacht, wo der Marquis den König aufstachelte, ein Kriegsheer gegen seine Halbschwester zu schicken?
Jimena war überzeugt, dass dies nicht nur ihrer blühenden Fantasie entsprang. Dieses Gespräch hatte es gegeben, die Frage war nur: wann? Wie viele Tage lag es schon zurück? Wann würde der Marquis de Villena seine Männer in Marsch setzen? Oder sollten sie gar die Berge bereits überschritten haben?
Jimena konnte es nicht sagen, doch auf alle Fälle musste sie etwas tun. Und es war Eile geboten! Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und lief aus der Kammer, die neben Isabels Gemach lag. Sie eilte die Treppe hinunter in den Hof, ohne zu wissen, was eigentlich ihr Ziel war. Jimena blieb mitten im Hof im Mondlicht stehen. Die Panik, die sie im Schlaf erfasst hatte, flaute ab, und ihr Geist begann kühl, ihr Fragen zu stellen. Wem konnte sie vertrauen? Wer konnte etwas tun? Und was? Es war mitten in der Nacht. Wer würde ihr Glauben schenken und begreifen, wie dringlich es war zu handeln?
War es denn wirklich so dringlich?
Jimena horchte in sich hinein. Sie lauschte ihrem rasch schlagenden Herzen, das immer schneller zu galoppieren schien, als wolle es sie antreiben.
Ja, es war dringend! Jimena grübelte noch immer, an wen sie sich wenden sollte, als sie plötzlich Geräusche hörte. Der Hufschlag von schweren Kriegsrössern draußen in den Gassen, der sich rasch näherte. Überraschte Rufe, schlaftrunkene Stimmen.
War es etwa schon zu spät? Kam der Marquis mit seiner Truppe, um Isabel zu entführen? Jimena griff nach ihrem Messer, das sie selbst unter ihrem Nachtgewand verborgen trug. Ach, wie sinnlos war diese Geste!
Da erklang eine laute Männerstimme von draußen.
»Öffnet das Tor! Macht schnell!«
Noch nie war Jimena so erleichtert gewesen, diese Stimme zu hören!
Schon näherten sich Schritte, und die Torflügel schwangen knarrend beiseite. Pferde trabten in den Hof des Palasts, der mehr einem befestigten Gehöft glich denn einem prächtigen Alcázar .
»Eure Exzellenz, dem Himmel sei gedankt, dass Ihr kommt!«, rief Jimena mit sich überschlagender Stimme und rannte auf den Erzbischof zu, der sich aus dem Sattel gleiten ließ. Sie hätte ihn kaum wiedererkannt in seiner schimmernden Kriegsrüstung, in der er nun einem Ritter glich, nicht einem Bischof. Carrillo dagegen musterte die junge Frau, die auf ihn zustürzte, erstaunt. Jetzt erst wurde Jimena bewusst, was für ein seltsames Bild sie abgeben musste, mitten in der Nacht im mondbeschienenen Hof, nur mit ihrem dünnen Nachthemd bekleidet, einen Dolch in ihrer Rechten.
Hastig knickste sie vor dem Erzbischof. »Verzeiht den ungebührlichen Auftritt, Exzellenz, doch es geht um eine Sache größter Dringlichkeit.«
»Das scheint mir auch so, Doña Jimena. Sprecht!«
Jimena sah zu den Männern hinüber, die nun ebenfalls von ihren Pferden stiegen. Auch sie waren alle in schwerer Rüstung und mit Schwertern, Lanzen und Armbrüsten bewaffnet, als wären sie auf einem Kriegszug. In dem Lärm der stampfenden Hufe und den Rufen der Männer nach den Knechten, die sich um die Tiere kümmern sollten, achtete niemand auf sie. Sie trat näher an den Erzbischof heran und sagte mit leiser Stimme:
»König Enrique schickt den Marquis de Villena mit einer Streitmacht über die Berge, um sich Isabels zu bemächtigen. Er hat von der geplanten Hochzeit mit Fernando de Aragón erfahren und ist erzürnt. Er will diese Ehe mit allen Mitteln verhindern!«
Der Erzbischof sagte nichts, dabei war sich Jimena sicher, dass er ihre Worte vernommen hatte. Er sah sie nur an, ließ seinen Blick langsam bis zu ihren nackten Füßen hinabwandern, die unter ihrem Hemd hervorlugten, und sah ihr dann mit ausdrucksloser Miene in die Augen. Ein strenger Zug formte sich um seinen Mund.
»Woher wisst Ihr das? Ihr könnt davon eigentlich keine Kenntnis haben. Das ist unmöglich!«
Jimena wand sich. Die Frage war berechtigt. Konnte sie sich ihm anvertrauen? Er war ein Mann der Kirche, der
Weitere Kostenlose Bücher