Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
zum königlichen Palast führte Fadriquez Enriquez den Zug zum Haus von Juan de Vivero, der die Thronerbin und ihr kleines Gefolge willkommen hieß. Der Admiral ließ sie in seiner Obhut und verabschiedete sich mit den anderen Männern. Während sich die Damen Wasser bringen ließen, um sich zu erfrischen und den Staub von der Haut zu waschen, war die Aufgabe des Admirals für heute noch nicht erfüllt. Er musste die Stadt verteidigungsbereit machen für den Fall, dass es dem Marquis de Villena in den Sinn kommen sollte, sie bis hierher zu verfolgen. Nach einem leichten Mahl in Gesellschaft des Hausherrn und dessen Familie zogen sich die Gäste in ihr Schlafgemach zurück. Während Isabel in dem prächtigen Bett in der Mitte des Raumes schlief, teilten sich Jimena und Teresa ein schmaleres Lager, das hinter einem Wandschirm aufgestellt worden war. Alle waren erschöpft, dennoch fand Jimena keinen Schlaf. Sie wusste, dass ihr hier in Valladolid nur eine kurze Atempause gegönnt war und sie bereits in den nächsten Tagen wieder aufbrechen mussten. Ihr war bewusst, wie entscheidend das Gelingen dieser Mission war und wie schwer es werden würde, die Männer zu überreden, sie mitzunehmen. Zweifel überfielen sie, ob sie der großen Aufgabe gewachsen sein würde, die Dominga ihr übertragen hatte. Sie fragte sich, ob die Zeit der Lehre bei ihrer Tante nicht zu kurz gewesen war, als dass sie nun vertrauensvoll auf ihre Kräfte bauen konnte. So wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, und je weiter die Nacht vorrückte, desto tiefer versank sie in der Finsternis ihrer Ängste und Zweifel. Wie sollte sie das ohne Dominga schaffen? Warum ließ ihre Tante sie in dieser schweren und so wichtigen Zeit allein? Sie grollte ihr ein wenig. Konnte die alte Königin nicht wenigstens ein paar Wochen ohne sie auskommen? Sie würde es in ihrem Zustand vielleicht nicht einmal bemerken. War dies denn nicht wichtiger? Es ging nicht nur um Isabels Zukunft. Es ging um die Zukunft des ganzen Landes!
Jimena konzentrierte sich auf Domingas Gesicht und versuchte ihre Gedanken zu erreichen. Wenn es ihr gelang, Verbindung mit ihrer Tante aufzunehmen, dann würde sie nicht allein sein. Dann würde sie wichtige Entscheidungen nicht selbst treffen müssen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, Domingas Gesicht blieb so blass wie eine alte Erinnerung. Jimena warf sich wieder auf die andere Seite. Zorn stieg in ihr auf.
Wollte sie nicht mit ihr sprechen? Verweigerte sie Jimena absichtlich ihre Hilfe?
Eine kühle Hand griff nach der ihren und umfasste sie mit einer Stärke, die sie erschaudern ließ. Jimena starrte in die weit geöffneten Augen, die im Dunkeln wie glühende Kohlen schimmerten.
Sei unverzagt, sagte der Blick, als würde Teresa die Worte laut aussprechen. Du trägst die Kraft in dir, und du wirst es zu einem guten Ende bringen. Hab Vertrauen in dich selbst. Ich werde hier auf dich warten.
Jimena umarmte ihre stumme Cousine. Eng aneinandergeschmiegt schliefen sie ein.
Kapitel 19
Kloster der Klarissen, März 2012
»Señora, qué le pasa? Puedo ayudarle?«
Isaura spürte eine warme Hand auf der ihren. Ein Arm legte sich behutsam um ihre Schulter. Was für eine tröstliche Berührung. Die Frau, die sie in den Arm genommen und auf Spanisch gefragt hatte, was ihr zugestoßen sei und ob sie ihr helfen könne, nahm sie nun zärtlich bei der Hand und führte sie weg von dem Abgrund, in den sie geblickt hatte, zurück ins Leben. In ihr Leben!
Isaura ließ sich beim Aufstehen helfen. Ihre Knie und ihr Rücken schmerzten, und sie war völlig durchgefroren. Sie konnte ihre Hände und Füße kaum noch spüren. Wie lange hatte sie hier gekauert?
Verwirrt hob sie den Blick und ließ ihn über den Garten schweifen. Es regnete noch immer, doch das Gewitter war weitergezogen.
Sie richtete ihren Blick auf die Frau, die noch immer Isauras eisige Finger in ihrer warmen Hand hielt. Sie blickte in ein Paar freundliche blaue Augen, die sie aus einem schmalen Gesicht mit heller Haut ansahen. Der vermutlich zierliche Körper der Frau verschwand unter einer langen, schwarzen Kutte. Ein schwarzer Schleier bedeckte das Haar.
Eine Nonne, stellte Isaura verwundert fest.
»Danke, mir geht es gut«, murmelte sie. Ihr fiel kein einziges spanisches Wort ein, aber das war anscheinend auch nicht nötig, denn die Schwester wechselte nun ebenfalls ins Deutsche.
»Das sah aber nicht so aus!«, gab sie sanft zurück und widerstand Isauras Versuch, ihre Hand
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