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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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zurückzuziehen.
    »Mir ist nichts passiert«, behauptete Isaura noch einmal. Zumindest was das Gewitter betraf, war dies ja die Wahrheit. »Ich habe mein Auto dort hinten irgendwo stehen, und es ist kaum eine halbe Stunde Fahrt bis zu meinem Haus.«
    Die Nonne wollte nicht hören. Sie sah ihr so eindringlich in die Augen, dass sich Isaura ganz nackt vorkam und das Gefühl hatte, die Frau könne ihre tiefsten Gedanken lesen. Und sie war ganz und gar nicht bereit, ihr richtig zuzuhören.
    »So kann ich Sie nicht gehen lassen. Sie sollten mit mir kommen, sich etwas Trockenes anziehen und sich erst ein wenig beruhigen, ehe sie nach Hause fahren«, sagte die Schwester in mütterlich besorgtem Tonfall, obgleich Isaura argwöhnte, dass die Frau jünger war als sie selbst.
    »Mir fehlt nichts!«, beharrte sie störrisch, doch die Nonne schüttelte den Kopf.
    »Sie wissen selbst, dass das nicht stimmt. Ich kann es in Ihren Augen sehen, dass etwas Sie zutiefst verstört. Daher bitte ich Sie, kommen Sie mit mir. Sie müssen nicht mit mir reden oder mit unserem Beichtvater, der vermutlich eh kein Deutsch versteht, doch lassen Sie Ihre Seele ein wenig zur Ruhe kommen, und finden Sie erst zu sich selbst zurück, ehe Sie sich auf den Heimweg machen.«
    Sah man es ihr wirklich so sehr an, oder war diese Frau nur besonders einfühlsam?
    »Wohin mitkommen?«, fragte Isaura, bereit nachzugeben. Sie fühlte sich zu sehr geschwächt, um es mit dieser energischen Persönlichkeit in ihrer Kutte aufzunehmen. Und sie fror so schrecklich. Ihre Zähne klapperten, und selbst ihre Knie schlugen gegeneinander. Oder kam das nicht von der Kälte?
    »Zum Convento de Santa Clara, dem Klarissenkloster«, gab sie Auskunft. »Es ist gar nicht weit.«
    Isaura nickte. »Ich weiß. Dorthin war ich gerade unterwegs, als ich – ich meine, als das Gewitter mich überraschte.«
    Sie hatte etwas anderes sagen wollen, doch falls die Nonne etwas bemerkt hatte, ließ sie es dennoch dabei bewenden.
    »Sehen Sie, dann trifft sich das doch ganz vorzüglich. Sie wollten sich sicher die Reste des prächtigen Palasts ansehen mit seinen maurischen Bogen und die Bäder mit ihren kunstvollen Fliesen.«
    Die schmale Hand schob sich unter Isauras Ellenbogen und drängte sie energisch vorwärts.
    »Ich bin Schwester Maria Anna«, stellte sie sich vor. »Ich gehöre zum Klarissenkloster zur heiligen Elisabeth in Brixen.«
    »Und was hat Sie hierher nach Tordesillas verschlagen?«, erkundigte sich Isaura, die erleichtert bemerkte, dass das Beben in ihren Beinen nachließ und sie der jungen Frau folgen konnte, ohne zu schwanken. Diese zögerte mit ihrer Antwort und wiegte den Kopf hin und her. Dem vertrauten Akzent nach musste sie irgendwo aus dem Süden Bayerns stammen.
    »Sagen wir, es war der barmherzige Vorschlag meiner weitsichtigen Mutter Oberin.«
    Mehr war sie im Moment nicht bereit zu sagen, und da sie bereits das Kloster erreichten, musste Isaura ihre drängenden Fragen auf später verschieben. Isaura erhaschte einen Blick in einen unregelmäßig geformten Hof mit einem Arkadengang und einer Kirche auf der Rückseite, deren Dachreiter drei Glocken zierten. Sie erinnerte sich vage, dass die Klarissen zu den Bettelorden gehörten und daher bei ihren Kirchen auf prächtige Türme verzichteten. Doch war da nicht auch von Klausur die Rede gewesen? Erstaunt sah sie zwei Pärchen in bunten Regenjacken in den Hof treten und sich angeregt plaudernd umsehen. Begeistert betrachteten sie die herrlich verzierten arabischen Doppelbogenfenster in dem der Kirche anschließenden Palastbau.
    War Santa Clara nun ein alter Palast und ein Museum oder ein lebendes Kloster?
    »Beides«, beantwortete Schwester Maria Anna ihre Frage. »Der Palast wurde im vierzehnten Jahrhundert gegründet und ist im Mudéjarstil erbaut, was verständlich wird, wenn man sich den damaligen Grenzverlauf zwischen dem christlichen Spanien und dem maurischen Süden ansieht. Der moslemische Einfluss in der Architektur und in der Kunst war sehr stark, und man lebte meist in friedlicher Eintracht miteinander, bis es wieder einmal zu einer Welle der Reconquista kam. Will man es modern ausdrücken, dann war ein arabischer Palast bei den christlichen Herrschern der spanischen Halbinsel damals ›in‹ und traf den Geschmack der Zeit. Vor allem die maurischen Bäder waren der Luxus schlechthin. Im Grenzgebiet wurden auch viele von den Mauren erbaute Burgen und Paläste erobert und dann von den christlichen Herrschern

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