Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
daß Sie das nicht tun dürfen, spricht dagegen!
Sie werden nie wieder von mir hören, mein lieber, junger, junger Mann, aber ein Teil meiner Liebe wird immer Ihnen gehören. Und meine Dankbarkeit.
Phyllis.
Peter las den Brief ein zweites Mal, versuchte zu erfassen, was hinter den Worten stand. Phyllis hatte ihre Worte mit einer Sorgfalt gewählt, die einer außergewöhnlichen Furcht entsprang. Aber Furcht wovor? Womit hatte sie sich ›schuldig‹ gemacht? Was konnte sie getan — oder nicht getan — haben, das sie dazu veranlassen konnte, ein ganzes Berufsleben in den Wind zu schlagen? Das war doch Wahnsinn!
Alles war Wahnsinn, alles! Und dieser Wahnsinn würde aufhören! Er ging auf die Tür zu. Von irgendwoher hörte er ein langgezogenes Summen. Als seine Hand den gläsernen Türknopf berührte, hörte es auf. Und dann hörte er die Worte, begleitet von dem Geräusch einer sich öffnenden Glasplatte.
»Mr. Kastler?« Die Telefonistin rief ihm, hatte den Kopf halb durch die Öffnung gesteckt. »Ein Anruf für Sie.«
Phyllis? Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt! Er rannte quer durch den Raum und nahm den Hörer entgegen.
Es war nicht Phyllis Maxwell. Es war Alison.
»Etwas Schreckliches ist passiert. Ein Anruf von einem Mann aus Indianapolis ist gekommen. Er war völlig außer sich. Er war am Flughafen, wo er eine Maschine nach Washington ...«
»Wer war es denn?«
»Ein Mann Namens Bromley. Er hat gesagt, er würde dich töten.«
Carroll Quinlan O’Brien nahm die Logbücher von dem Wachmann entgegen und dankte ihm. Die Türen an der Pennsylvania Avenue waren geschlossen; die Liste mit den Namen derjenigen Leute, die durch diese Türen gekommen oder gegangen waren, würden bearbeitet und in die Zentrale geschickt werden. Jede Person im FBI-Komplex stand unter hundertprozentiger Überwachung; es durfte nie jemand das Gebäude betreten oder verlassen, ohne seinen Ausweis zu zeigen.
Mit einer Eintragung in diesen Logbüchern hatte vor vier Monaten alles angefangen, dachte O’Brien. Sein schneller Abstieg in den Augen des Bureaus hatte damit angefangen. Vor vier Monaten hatte er drei Namen gefunden, die in den Nachmittagslisten des 1. Mai eingetragen waren: Salter, Krepps und Longworth.
Zwei Namen waren nicht zugeteilte Decknamen, der dritte gehörte einem pensionierten Agenten, der auf der Insel Maui im Pazifik lebte. Diese drei unbekannten Männer hatten sich in jener Nacht Zutritt verschafft. Am Morgen darauf war Hoover tot, und alle Spuren der Akten des Direktors waren verschwunden. Die Dossiers selbst waren ein schnell vergessenes Vermächtnis aus der Hölle gewesen, die niemand exhumieren oder untersuchen wollte.
Also hatte Quinn O’Brien Fragen gestellt, hatte mit leiser Stimme den Rat jener gesucht, von denen er wußte, daß sie ihm zuhören würden, weil es ihnen wichtig war. Männern wie er selbst im Bureau, deren Empfindlichkeit in den letzten Jahren verletzt worden war — ihre mehr als seine meistenteils. Zumindest über einen längeren Zeitraum. Er war erst vor viereinhalb Jahren dazugestoßen. Der Kriegsheld aus Sacramento, der vierzigjährige Anwalt, der einem Gefangenenlager der Vietcong entkommen war, und dem man später in Kalifornien Paraden gewidmet hatte. Washington hatte ihn gerufen, der Präsident hatte ihn dekoriert, Hoover hatte ihn eingestellt. Das machte sich gut in den Medien. Er verlieh dem Bureau eine dringend benötigte Aura der Würde. Quinn hätte eine große Zukunft im Justizministerium haben können.
Hätte haben können. Jetzt nicht mehr. Weil er Fragen gestellt hatte. Eine Flüsterstimme im Telefon hatte ihm befohlen, damit aufzuhören. Eine ausdruckslose, schreckliche, hohe Flüsterstimme, die ihm gesagt hatte, daß sie Bescheid wußten. Sie besaßen ein Schriftstück, verfaßt von einem gefangenen Oberstleutnant, der mit sieben anderen Männern auf die Exekution gewartet hatte — wegen der Handlungen eines gewissen Major Carroll Quinlan O’Brien. Der Major hatte einem direkten Befehl nicht Gehorsam geleistet. Demzufolge waren acht amerikanische Soldaten exekutiert worden.
Natürlich war das nur die Hälfte der Geschichte. Es gab noch eine andere Hälfte. Diese Hälfte befaßte sich mit demselben Major, der sich mit viel größerer Sorge als der exekutierte Oberstleutnant um die Kranken und die Verwundeten des Gefangenenlagers gekümmert hatte. Dieser Teil der Geschichte berichtete auch, wie der Major die Arbeit anderer übernommen hatte, um
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