Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Kongreß und die Administration abgegeben hatten, waren, wie nicht anders zu erwarten, scheinheilig, sie troffen von unechtem Lob. Aber selbst in jenen wohlgewählten Worten konnte man deutlich die Krokodilstränen sehen. Die Erleichterung war allgegenwärtig.
Kastler faltete die Zeitung zusammen und schob sie in den Sand, damit sie ihm nicht weggeweht wurde. Er wollte nicht weiterlesen.
Und, was seiner Stimmung noch viel näher kam, er wollte auch nicht schreiben. Herrgott! Wann würde er das wollen? Würde er das je wollen? Er hatte einfach keine Lust, war es zufrieden, sich verwöhnen zu lassen, seine Passivität zu genießen.
Die Ironie des Ganzen lag darin, daß er reich wurde. Joshua Harris hatte vor einer halben Stunde aus New York angerufen, um zu berichten, daß das Studio die nächste Rate pünktlich bezahlt hatte.
Peter bekam eine Menge Geld dafür, daß er absolut nichts tat. Seit der Episode mit Sheffields Frau hatte er sich nicht einmal die Mühe gemacht, ins Studio zu gehen oder irgend jemanden wegen Gegenschlag! anzurufen.
Keine Sorge. Du hast ein Klassebuch geschrieben, Süßer.
Meinetwegen.
Er hob die linke Hand und drehte sie so herum, daß er auf die Uhr am Handgelenk sehen konnte. Es war fast halb neun; es war schnell Morgen geworden. Die Luft war feucht, die Sonne schien zu grell, und der Sand war bereits zu heiß. Langsam stand er auf. Er würde hineingehen und sich in einen klimatisierten Raum setzen und etwas trinken müssen.
Warum nicht? Wie hieß dieser Satz? Ich trinke nie vor fünf Uhr nachmittags. Gott sei Dank ist es irgendwo fünf Uhr!
War es schon nach fünf — fünf Uhr morgens — an der Ostküste? Nein, er brachte das immer durcheinander; es war genau umgekehrt. An der Ostküste war es noch nicht einmal halb zwölf.
Der Himmel war bedeckt, die Luft schwer und drückend. Der gleichmäßige Nieselregen drohte in einen Wolkenbruch überzugehen. Die Menschenmenge auf der Capitol Plaza war still; die halblauten Sprechchöre der Kriegsdienstgegner hinter den Barrikaden mischten sich in das Summen der Menge und drohten, ebenso wie der Nieselregen, lauter zu werden, sobald der Regen lauter wurde.
Hier und dort öffnete sich ein Regenschirm; gerippte Kreise aus schwarzem Tuch sprangen auf, spannten sich über gleichgültigen Gesichtern. Die Augen waren stumpf, ablehnend, leblos. Eine Strömung der Angst war zu verspüren, das letzte Erbe vielleicht des Mannes, dessen Leiche in dem riesigen Leichenwagen transportiert wurde, dessen Ankunft sich um fünfundzwanzig Minuten
verspätet hatte. Und plötzlich war die mächtige schwarze Limousine da, bog lautlos aus der von Bäumen gesäumten Einfahrt über die Betonfläche des Platzes.
Stephan Varak stellte fest, daß die Menge zurückzuweichen schien, obwohl niemand der Limousine den Platz versperrt hatte. Ein weiterer Beweis für dieses Erbe der Angst, dachte er.
Zu beiden Seiten der Stufen standen reihenweise Soldaten mit vom Regen durchtränkten Uniformen. Ihre Augen blickten starr nach vorn. Es war elf Uhr fünfundzwanzig. Der Leichnam von John Edgar Hoover sollte einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang aufgebahrt bleiben. Dies war eine Ehre, die man in der ganzen Geschichte der Nation noch keinem Zivilbeamten erwiesen hatte.
War es vielleicht der Wunsch der Nation, sich selbst und der Welt zu beweisen, daß er wirklich tot war — dieser Mann, der wie ein Riese aus dem Morast der Korruption emporgestiegen war, die das ursprüngliche Bureau of Investigation einmal gewesen war, emporgestiegen, um eine effiziente, außergewöhnliche Organisation daraus zu bilden, um dann im Lauf der Jahre sich wieder aufzulösen, stets vom Glauben an die eigene Unfehlbarkeit erfüllt. Wenn er nur aufgehört hätte, ehe das Fieber ihn gepackt hatte, dachte Varak.
Acht Soldaten waren gemessenen Schrittes vorgetreten und standen jetzt an der hinteren Tür der schwarzen Limousine, auf jeder Seite vier. Die schwere Klappe schwang in die Höhe; der in eine Flagge gehüllte Sarg glitt heraus, senkte sich ein paar Zentimeter, als die Hände der Soldaten die vorstehenden Stahlgriffe erfaßten und ihn aus dem Wagen zogen. Mit quälend langsamen Schritten bewegten sich die Soldaten durch den immer dichter werdenden Regen auf die Stufen zu.
Jetzt begannen sie, die fünfunddreißig Stufen zum Eingang der Rotunde hinaufzusteigen. Ihre leblosen Augen waren starr nach vorn gerichtet, auf nichts; ihre Gesichter waren vom Schweiß und dem Regen
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