Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Fließband schuf, immer atemloser, die ungefährlicheren in Hollywood und die gefährlichen in Europa. Es hat Magie, sich mit einem Wort an Millionen zu richten, wie Charlie Chaplin im Großen Diktator vorführte: Die Menschen werden tyrannisiert von einer schnarrenden Stimme, die über Lautsprecher übertragen wird, in den Feldern, in den Fabriken, und dann richten sie sich auf, weil eine andere Stimme zu ihnen spricht, die ihnen Lebensmut gibt. Das ist die Spannweite während der Großen Depression: Roosevelts ermunternde Radio-Kaminfeuer-Monologe und drüben Goebbels’ nervenaufpeitschende Tiraden über den Volksempfänger – der eine gab Hoffnung, der andere Hass.
Am Beginn dieses neuen Jahrhunderts sind wir gleichzeitig demokratisch-aufgeklärter und verträumter, wenn es um Idole oder Führerfiguren geht. Wir bauen sie schnell auf und räumen sie noch schneller wieder ab – die Medien besorgen das Geschäft in beide Richtungen.
Sie versorgen uns nicht nur mit dem Glanz, sondern auch mit Klatsch, mit Banalitäten, mit den Lächerlichkeiten der Idole. Es
ist ja nicht so, dass das Private verschwunden wäre, im Gegenteil: Es gibt viel davon. Zu viel. Wenn wir über TV und Internet am Intimleben des amerikanischen Präsidenten teilnehmen, ist noch längst nicht ausgemacht, ob wir es wirklich wollen oder ob wir als Geiseln genommen werden.
Eine ganze Branche lebt mittlerweile davon, Idolen in die Unterhose zu gucken. Die empörten Schlagzeilen der Groschenpresse zu Beginn des Jahrhunderts, die über Fatty Arbuckles Hollywood-Eskapaden berichteten, wirken heute geradezu unschuldig, wenn man sie mit den Fotos des Drogenwracks Whitney Houston und den Koks-und-Nutten-Eskapaden Charlie Sheens vergleicht.
Unser Verhältnis zum Ruhm ist ironisch geworden. Es ist das Zeitalter einer ewigen Götzendämmerung, in der wir zu den buntbemalten Lampions hinaufschauen, die wir selber aufgehängt haben, und uns für eine Weile einbilden, sie seien die Sonne und vertrieben uns die Angst vor Einsamkeit und Nacht. Das ist das, was wir heute Ruhm nennen – eine schnell erlöschende Angelegenheit.
Doch es geht nicht nur um Idole und ihre Konsumenten, sondern auch um die Projektoren, die sie entwerfen, um Fernsehleute, Journalisten, Kino-Macher. Um uns.
Immer aber geht es um Ruhm. Machen wir uns nichts vor: Jeder von uns hatte schon einmal den Wunsch, berühmt zu sein, zumal es im Zeitalter der Massenmedien ja tatsächlich jeder werden kann. In seinem einsichtsvollen Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit beschreibt Georg Franck, wie gesellschaftliche Zuwendung dem Geld den Rang abzulaufen beginnt – Prominente sind »Einkommensmillionäre an Aufmerksamkeit«.
Das Spiel um Ruhm und Anerkennung wird besonders in reichen Gesellschaften Bestandteil des Existenzkampfes: »Nicht der sorglose Genuss, sondern die Sorge, dass die andern einen auch ja wahrnehmen, wird zum tragenden Lebensgefühl und zur herrschenden Lebensangst in der Wohlstandsgesellschaft. «
Jeder, der mal zu einer Talkshow eingeladen wird, macht die gleiche Erfahrung:
Er ist drei Tage lang schlaflos vor Aufregung.
Er redet sich während der Sendung um Kopf und Kragen.
Er ist weitere drei Tage lang schlaflos vor Ärger darüber, dass er nicht die spritzigen und klugen Antworten gegeben hat, die ihm hinterher in Endlosparaden durch den Kopf wandern.
Fazit: Er weiß, dass er leiden wird – und geht trotzdem hin. Warum? Ganz einfach: Es geht um Aufmerksamkeit für das, was man tut.
In Don DeLillos Roman Unterwelt sinniert der 16-jährige Graffiti-Künstler Ismael über das Hochgefühl, das es bedeutet, seine Signatur zu hinterlassen. »Die Züge muß man signieren. Die Züge kommen die Rattenrennbahn langgezischt, alle gleich, und dann triffst du auf einen Zug, und das ist deiner, überall im Netz zu sehen, und du kommst in die Köpfe der Leute rein und verwüstest ihre Augäpfel.«
Was Ismael sagt, gilt nicht nur für das U-Bahn-Netz, sondern auch für alle anderen Systeme, die Botschaften transportieren können, fürs Internet und fürs Fernsehen erst recht. Aufmerksamkeit ist ein materieller Faktor geworden.
Für den Kulturhistoriker Jacob Burckhardt war der Wille zum Ruhm Kennzeichen des »modernen Bewußtseins«. Einfach ausgedrückt: Ruhm, finden wir alle, ist eine feine Sache. Man wird von allen bewundert, im Restaurant kriegt man den besten Tisch, und alle hämmern einem so lange ein, dass man liebenswert und interessant ist, bis man selber daran glaubt.
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