Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Ja, das ist überhaupt das Entscheidende, denn jeder von uns vermutet im tiefsten Innern seines Inneren, dass er eigentlich ziemlich uninteressant ist.
Womit er, im nüchternen biologischen Sinne, zunächst recht hätte. Unter einem entgötterten Himmel ist jeder von uns nur ein winziger Punkt im Milliardengewimmel, eine kurzlebige Zusammenballung von Materie, die folgenlos verpufft. Da ist es doch schön, wenn man zuvor wenigstens ein paarmal einen
guten Platz im Restaurant hatte und Kellner, die dir das Gefühl geben, dass sie nur auf diesen Moment hingelebt haben, wo sie dir dein Wiener Schnitzel servieren dürfen.
Allerdings ist Ruhm eine zweischneidige Angelegenheit. Irgendwann in den 80er Jahren, dem Jahrzehnt der Star-und-Status-Hysterien und roten Brillenbügel, spazierte ich mit dem Schriftsteller Harold Brodkey den Broadway hinunter, vorbei an Zeitungskiosken, in denen sein Foto hing – gerade war eine Titelgeschichte im New York Magazine über ihn erschienen. Ein Passant erkannte ihn und rief ihm zu: »You’re just great!«
Wahrscheinlich hatte der Mann keine einzige Zeile des Schriftstellers gelesen, doch dass Brodkey zu den Auserwählten gehörte, die auf der Titelseite eines Magazins abgebildet wurden, genügte ihm, und er freute sich, ihn zu treffen – ja, eigentlich: wiederzutreffen –, so, als fühle er sich durch Brodkeys Glanz erwärmt.
Einige Schritte weiter trafen wir auf einen Kritiker. Auch er beglückwünschte Brodkey, allerdings mit einer undurchsichtigeren, raffinierteren Floskel. Kaum war er in unserem Kielwasser verschwunden, murmelte Brodkey: »Ein Idiot. Völlig von sich eingenommen. Hat noch nie eine brauchbare Zeile zu Papier gebracht.« Ich bin überzeugt, dass der entschwundene Kollege im gleichen Moment etwas Ähnliches vor sich hingemurmelt hat.
Ruhm also hat ein Doppelgesicht. Die einen lieben dich, die anderen wünschen dich zum Teufel, denn so alt wie der Wunsch nach Ruhm ist der Neid, den er auslöst. Reflexartig. Einer ist berühmt, einer spielt sich vor, und die anderen deckeln ihn ab. Ein schönes Beispiel dafür ist der Fall Josef.
Jeder kennt die biblische Geschichte: Josef, das späte Hätschelkind, Liebling seines Vaters, träumt vom Ruhm. Er träumt, dass er mit seinen elf Brüdern auf dem Felde arbeitet und Garben bindet. »Meine Garbe«, erzählte er ihnen anderntags aufgeregt, »richtete sich auf, aber eure Garben stellten sich ringsumher und neigten sich vor meiner Garbe.« Natürlich reagierten die
älteren Brüder absolut brudergemäß: Sie hätten den Hosenscheißer am liebsten auf der Stelle vermöbelt. Doch Josef setzte noch einen drauf. In seinem nächsten Traum, erzählte er versonnen, sei er der Mittelpunkt des Himmels gewesen, und Sonne und Mond und elf Sterne hätten sich vor ihm verneigt. Nun wurde selbst Papa Jakob ungehalten, denn mit Sonne und Mond waren er und Mama gemeint.
Der Fortgang der Geschichte ist bekannt: Die Brüder warfen Josef in eine Grube. Weg mit ihm. Dem Vater sagten sie, ein wildes Tier hätte ihn zerrissen, und irgendwie stimmte das ja auch – Josef hatte ihre niedersten, ihre tierischen Instinkte geweckt und sie zur Weißglut getrieben. Die Pointe des alttestamentarischen Gottes allerdings ist nicht zu überbieten: Es stellt sich heraus, dass Josef tatsächlich so auserwählt ist, wie er immer geahnt hatte, und diese Auserwähltheit sollte später der ganzen Familie nützen.
Auf unserem kurzen Spaziergang über den Broadway hatte sich Brodkey in diesen beide Seiten des Ruhmes gespiegelt: in Hingabe und Verteufelung, und es war ihm anzusehen, wie verwirbelt das Gemüt darauf reagiert. In die Begeisterung über die eigene Auserwähltheit mischt sich immer die Angst vor den Attacken der Neider.
Schließlich saßen wir in einem Broadway-Café, ließen uns von Kellnerinnen bedienen, die wie Filmstars aussahen, und sprachen über Ruhm. Brodkey vertrat die Auffassung, der Ruhm schütze wie ein Bad in Drachenblut, ja dass dieser Schutz vor Verletzungen die attraktivste Eigenschaft von Ruhm sei. Er war gleichzeitig streitsüchtig und liebenswert, und seine liebenswerteste Eigenschaft war wohl seine Verletzbarkeit. Er stürzte sich in jede literarische Schlacht und holte sich regelmäßig Schrammen. Er litt unter Kritikern, was seine Streitlust nur noch erhöhte und damit seine Verletzbarkeit.
Und nun, fragte ich, da er berühmt sei? Er seufzte. Er schaute mich an und fragte: »Wer wärst du lieber? Harold Brodkey oder Mick
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